Zukunftskompetenzen statt Back-to-Office – Digitale Empathie statt Rolle rückwärts

Stefan Dietz Blog Back to Office
„Meinen Sie ernsthaft, dass die großen Firmen wie SAP da falsch liegen?“
„Ja. Meine ich.“
Mein Teilnehmer im Impuls-Workshop der Führungskräfte schaute ziemlich ungläubig.
Es ging um meine Haltung zu den „Back-to-Office“ Anordnungen einiger namhafter Unternehmen, die gerade durch die Presse gehen.
Dabei geht es nicht um ein unnötiges Polarisieren zwischen den Meinungen.

Gute & schlechte Gründe

Da sind die einen, die sagen „Die Pandemie ist rum, wir müssen das Arbeiten wieder normalisieren und öfter im Büro sein. Die Leute haben es sich im Homeoffice gemütlich gemacht und das muss wieder etwas zurückgedreht werden.“

Da sind die anderen, die sagen „Leute, die Menschen haben gelernt, flexibel zu arbeiten. Das funktioniert doch wie vielfach bewiesen. Warum wollt Ihr das ändern?“

Hier sollten wir nicht argumentativ aufeinander losgehen.

Wer sich und sein Unternehmen wirklich erfolgreich in die Zukunft führen will, sollte sich etwas Zeit nehmen und – am besten im Team – reflektieren, worum es wirklich geht, worauf es ankommt und wie eine kluge Strategie aussehen kann.

Was geht uns denn eigentlich gerade verloren?

Auch wenn ich eine klare Meinung habe, wie man vorgehen sollte (dazu gleich mehr).

Wir sollten größtes Verständnis haben für die Probleme oder empfundenen Probleme und Entwicklungen haben, die zur Überlegung von „Back-to-Office“ führen.

Da sind die gefühlten Unsicherheiten von Führungskräften.

Sie verlieren den Kontakt zu ihren Mitarbeitenden. Man sieht sich seltener und der Dialog über die Arbeit hinaus geht verloren. Die Kontrolle geht verloren, die Firma scheint schlechter steuerbar. Man weiß nicht mehr so richtig, was die Leute eigentlich machen… – Sie wissen, was ich meine.

Da ist aber auch die Unsicherheit bei Mitarbeitenden.

Da gibt es die Angst, bei Beförderungen übersehen zu werden, wenn man nicht im Nachbarbüro vom Chef auftaucht. Da fehlt das Feedback, vielleicht auch einfach der Bürotratsch. Man könnte ja was verpassen oder abgehängt werden.

Man könnte noch viele Facetten ergänzen. Worum es mir geht, ist bewusst zu machen, wie ungleich die beiden gegenläufigen Entwicklungen sind.

Neue Arbeit versus gute alte Zeiten…

Die bis vor wenigen Jahren in vielen Firmen „normale“ Art des Arbeitens und Führens haben wir über Jahrzehnte „eingeübt“. Es passt auch zum menschlichen Sozialleben als „Herdentiere“. Vor Ort in Büros zusammen zu arbeiten – das fühlt sich vertraut an. Nicht, dass das immer besonders gut und produktiv gewesen wäre – aber so kennen wir das halt.

Die andere Entwicklung zum Remote und Hybrid Arbeiten ist viel jünger. Zumindest für die meisten Menschen. Und für alle, die eben nicht aus eigener tiefer Überzeugung zu einer solchen Arbeitskultur gefunden haben, sondern weil sie die Pandemie aus den Büros vertrieben hat – für die stellt sich die Situation nochmal anders dar.

  1. Die Methoden und die Kultur, die für eine gelungene Führung und Zusammenarbeit nötig sind, hatten gerade mal 4 Jahre Zeit, sich zu entwickeln. Jetzt könnte man sagen, das ist doch eine lange Zeit… – aber was sind schon vier Jahre mit Blick auf das gute alte Normal…
  2. Dazu kommt, dass viele Menschen noch immer nicht innerlich zu einer neuen, moderneren, flexibleren und hybrideren Art des Arbeitens „Ja“ gesagt haben. Verständlich, dass man die nötigen Veränderungen dann nicht mit der gleichen Begeisterung vorantreibt, wie das jemand tun würde, der sich freiwillig und ganz bewusst für remote- oder hybrid-Arbeit entschieden hat – und nicht von den Pandemiemaßnahmen hat aus dem Büro vertreiben lassen.

Videokonferenzen sind längst nicht alles…

Und ja – wir haben uns alle an hybrides Arbeiten und viele Videokonferenzen gewöhnt. Aber die Qualität und der Alltag im hybriden Führen erscheint mir eben immer noch sehr häufig ziemlich unausgereift:

Wir haben zwar Videomeetings als neues Normal übernommen. Aber wir haben nicht gelernt, genügend Pausen einzubauen, Räume für Small Talk und gute Spielregeln zu etabliere, die auch bei Video-Konferenzen Fokus, Nähe und Intensität ermöglichen. Führung funktioniert anders, wenn Menschen sich nicht regelmäßig im gemeinsamen Raum treffen.

Wir nutzen die Technik – aber es fehlt doch stark an digitaler Empathie,
gekonntem Umgang mit den Tools und hybrider Führungskompetenz.


Das alles ist alles andere als trivial, entwickelt sich nicht von alleine und erfordert einiges an Lern- und Veränderungsbereitschaft bei allen Beteiligten.

Die Kernaussage:

Nur weil das neue Arbeiten noch nicht richtig ausgereift und kompetent umgesetzt ist,
heißt das noch lange nicht, dass gutes Arbeiten und Führen
jenseits von „Back-to-Office“ nicht funktionieren würde.

Wir können es nur noch nicht richtig.

Warnung: laufen Sie nicht der falschen Herde hinterher

Das ist für mich die große Gefahr.

Und ja – die „falsche Herde“ das sind für mich die SAPs dieser Welt.

Und zwar aus mehreren Gründen.

  1. Es sind längst nicht „alle großen“ Unternehmen. Es sind eher einige, allerdings sehr bekannte Firmen, die noch dazu mit der Ankündigung, die Leute per Anordnung wieder ins Büro zu beordern auch noch Schlagzeilen machen. Deshalb werden die stärker wahrgenommen, als es ihrem echten Anteil entspricht.
  2. Die Positionierung auf dem Arbeitsmarkt muss im Blick bleiben. Für SAP und Co gelten durchaus andere Kräfteverhältnisse. Ist man in solch bekannten und eigentlich sehr attraktiven Unternehmen – aus welchen Gründen auch immer – der Meinung, dass man Personal abbauen wolle, kann man sich womöglich Aktionen wie „Back-to-Office“ leisten. Man nimmt dann sozusagen in Kauf, dass eine Reihe von Leuten eben das Unternehmen verlassen werden. Numerisch geht das zwar auf – aber ich frage mich immer, wie man denn sicherstellen will, dass die Richtigen gehen…
  3. Jetzt kommt die Falle. Wer mit der Begründung „Die Großen machen das ja auch  – also ist das vermutlich richtig…“ der Versuchung erliegt und zurück ins alte Normal will – der könnte sich ins eigene Fleisch schneiden. Denn der Regelfall bei weniger prominenten Unternehmen ist eben nicht, dass die Bewerber Schlange stehen. Wenn man dann Menschen unnötig verprellt – das muss man sich leisten können.
  4. Auch wenn eine solche Strategie mit einer Belegschaft, die ursprünglich dran gewöhnt war, überwiegend im Büro zu arbeiten – noch gut gehen kann. Was man aber nicht vergessen darf: die Menschen haben längst begriffen, dass Arbeitsorte heute flexibel sein können. Gar nicht so wenige Menschen sagen das, was mir gerade erst wieder eine knapp 60jährige Expertin im Gespräch bei einer Party sagte: „Ich würde nie wieder bei einer Firma anfangen, bei der ich nicht frei arbeiten könnte, wo ich will.“

Gute und schlechte Gründe fürs Büro

Um es deutlich zu sagen – es spricht überhaupt nichts dagegen, wieder öfters ins Büro zu gehen.

Aber es gibt gute Gründe und schlechte Gründe.

Die schlechtesten sind schnell erzählt:

  1. Man arbeitet im Büro, weil die Firma das so vorgibt und einfordert (obwohl die Arbeit woanders erwiesenermaßen auch erledigt werden kann).
  2. Man geht ins Büro, weil man Angst hat, sonst nichts mitzubekommen oder bei interessanten Aufgaben, Beförderungen oder Insider-Informationen übersehen zu werden.

Doch es gibt auch gute Gründe.

Wie wäre es z.B. mit super netten Kollegen, mit denen man gerne gemeinsam arbeitet und Zeit verbringt? Bei uns hatte mal eine Mitarbeiterin das so formuliert „Das ist wie mit Freunden treffen und dabei produktiv sein.“ Ist das so, kommen garantiert immer wieder erhebliche Teile Ihrer Mannschaft gerne ins Büro. Man verabredet sich. Feste Vorgaben braucht das nicht.

Wie wäre es mit coolen Büros? Man kommt ins Büro, weil es dort eine tolle Umgebung gibt. Architektonisch klasse, super Atmosphäre und beste Technik. Große Bildschirme, gute Arbeitsausstattung – das sind Gründe für die Arbeit im professionellen Büro.

Wie wäre es mit – kein Witz – leckerem Essen? Es ging gerade durch die Presse, dass einige Firmen ordentlich Geld in die Hand nehmen und richtig gute Köche engagieren und ihre Kantine zur „Eaterie“ aufwerten. Lecker essen mit Kollegen und nicht selbst einkaufen und kochen müssen? Noch dazu den besten Kaffee genießen. Das sind Gründe zum Büro-Besuch.

Wie wäre es mit netten Verabredungen? Es gibt eine App, die eigentlich dazu gemacht wurde, Büro-Arbeitsplätze zu reservieren (gehört auch zum neuen Arbeiten. Wenn ich nur noch gelegentlich im Büro bin, muss es auch nicht für jeden einen immer freien Arbeitsplatz geben). Diese App ist weiterentwickelt worden und regt jetzt die Kommunikation an. Man sieht, wer heute (oder morgen) im Büro ist und das ist Anlass für spontane Verabredungen zum Co-Working.

Wie wäre es mit interessanten Event-Tagen im Unternehmen? Das kann etwas sein, was man unternehmensweit machen kann oder gar muss. Auch die Idee, dass es einen festen Tag gibt, an dem (fast) alle vor Ort sind, kann Charme haben. Das gilt dann, wenn dann tatsächlich Dinge stattfinden, die nur in Präsenz gehen. Wird dann der Austausch gepflegt und vieles zusammen unternommen, dann ist das sinnvoll. Wenn man nur da ist und seine normale Arbeit macht, kann man sich das auch schenken.

Kluge Strategien für Unternehmen und Führungskräfte

Es ist ja nicht so, dass Menschen und Firmen grundsätzlich dagegen sind, öfter oder regelmäßig ins Büro zu kommen. Für viele Menschen passt das ganz gut so.

Der Stein des Anstoßes liegt eher in der strikten Vorgabe und der Einschränkung der Freiheit. Und das im Angesicht zuvor meist guter Produktivität.

Sollen Menschen zurück ins Büro, weil die Firma das so anordnet,
die zuvor – teils über Jahre – bewiesen haben,
dass sie hoch produktiv sein können – dann schafft das Frust.


Völlig unnötig dazu.

Sollen Menschen wieder regelmäßig zurück ins Büro, die ihre Lebensumstände an die neue Realität angepasst haben, entstehen echte Probleme. Menschen haben die Wochenstunden erhöht, weil sie Familie und Beruf mit mehr Remote Arbeit besser verbinden können.

Andere sind umgezogen – weiter weg vom Büro, dafür mit mehr Platz. Die nächsten haben sich Hund oder Pferd oder Surfbrett angeschafft oder einen zum Homeoffice umgebauten Camper angeschafft.

Sollen die jetzt diesen Lebensstil wieder aufgeben, nur weil Führungskräfte meinen, ein Exempel zurück zur alten Normalität statuierern zu müssen?

Und was ist jetzt die Lösung?

Wenn das noch nicht passiert ist, sollte man sich in geeigneter Runde Zeit nehmen und ohne vorweggenommene Polarisierung reflektieren, wie es um die Produktivität, Führung und Kommunikation im Unternehmen steht. Man sollte Gelegenheiten schaffen, damit jeder formulieren kann, wie die eigene Arbeitsweise am produktivsten ist.

Gemeinsam sollten dann Ideen entwickelt werden, wie eine gute, produktive und identitätsfördernde Arbeitskultur aussehen kann. Dabei gibt es nicht richtig oder falsch.

Entscheidend ist eher, ob es gelingt, zu guten Lösungen zu gelangen, die breit getragen werden.

Deshalb können folgende Elemente Teil der Lösung sein:

Team statt Firma.
Die wichtigste Ebene der Abstimmungen ist eher im Team als für die ganze Firma. Was spricht dagegen, wenn unterschiedliche Teams und Bereiche es Unternehmens für sich zu anderen Modellen der Zusammenarbeit kommen? So kann man voneinander lernen und möglichst viele Menschen finden sich in den Lösungen.

Keine absolute Gerechtigkeit per Regeln.
Bitte nicht Regelungen für alle treffen, weil es einige wenige Fälle gibt, die Freiheiten ausnutzen. Nur weil es einzelne Menschen geben mag, die im Homeoffice deutlich an Engagement vermissen lassen, ist das kein guter Grund, Homeoffice zu reglementieren. Das ist eher ein Anlass für ein individuelles Feedbackgespräch und entsprechende Führungsimpulse 😉.

Denken Sie an die Dritten Orte.
Nicht Büro oder Homeoffice – nicht schwarz oder weiß denken. Es kann Events außerhalb des Büros geben – Freizeitaktivitäten, Workations, Offsites. Es kann Regelungen geben ohne strikte Anwendung für alle. Was spricht dagegen, einen Präsenztag zu machen für alle, die da sein wollen. Und dennoch das Zuschalten für die Remote-Fans zu ermöglichen? Dann kann im Camper durch Südfrankreich fahren, wer das vorzieht und die näher am Standort lebenden Menschen trinken ihren Kaffee live zusammen.

Gute Arbeitskultur macht attraktiv als Arbeitgeber

Langfristig ist die eigene Arbeitskultur schon heute  und in Zukunft noch mehr ein wichtiges Unterscheidungskriterium im Arbeitsmarkt.

Die Zahl von Stellenangeboten mit kompletter oder überwiegender Remote-Arbeit wächst enorm. Noch gibt es auch hier viele Missverständnisse. Das hörte ich gerade wieder in einem Dialog mit einer Expertin, die sich auf Stellen beworben hatte. Da hieß es in der Stellenanzeige „Remote“ sei möglich. Bei  Nachfrage sprach man von 1-2 Tagen Homeoffice in der Woche. Das ist kein attraktives Angebot – das ist eher Etikettenschwindel. Man sollte klar sein, was man bieten kann.

Es wird auch in Zukunft sicher Arbeitgeber geben, die bei einer nahezu vollständigen Präsenzkultur bleiben.

Das ist völlig ok. Wenn es für alle Beteiligten die richtige Arbeitsform ist, spricht nichts dagegen. Und man muss es sich leisten können und genügend Talente in Wartestellung haben.

Nur soll dann bitte niemand kommen und über den Fachkräftemangel oder die fehlende Leistungsbereitschaft der Jungen lamentieren…

Podcast – „Back-to-Office“. Warum das keine gute Idee ist.

In dieser Podcastfolge geht es um ein brandaktuelles Thema: Namhafte Konzerne rufen ihre Mitarbeiter zurück ins Büro – meistens für zwei bis drei Tage pro Woche. Die neuen Regeln sorgen für Schlagzeilen und in einigen Fällen treffen sich Unternehmensleitung und Betriebsrat sogar vor Gericht. Doch ist es wirklich eine gute Idee, die Menschen per Anweisung zurück ins Büro zu beordern? Hören Sie rein!
2024-08-22T12:45:27+02:00
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