Digitale Nomaden – Weckruf für die Wirtschaft?

Sie sind jung, braungebrannt und die Augen leuchten, wenn sie von ihrem Lifestyle erzählen. „Fuck 9 to 5“ – die Botschaft hört man oft. Wo andere Frust schieben und das Unvermeidliche zerknirscht akzeptieren, haben sie bewiesen, dass es auch anders geht. Und sich an die Spitze eines Trends gesetzt. Die digitalen Nomaden verdienen ihren Lebensunterhalt während sie um die Welt reisen. Und manchmal treffen sie sich – wie jetzt wieder im Oktober in Berlin (DNX-Berlin). Ich werde wieder dabei sein und die Erinnerung an die letzte Konferenz im Mai ist noch sehr präsent….

Arbeiten im Büro und auf den Urlaub warten war gestern

Sebastian war gerade zwei Monate in Australien mit dem Camper unterwegs. Conni hat die letzten Wochen auf Bali verbracht. Sabrina war zwei Monate in Südafrika und lebte vorher acht Monate in Chiang Mai in Thailand. Tim bevorzugt eher lange Aufenthalte – 2014 sechs Monate in Bangkok, sechs Monate in Berlin, 2015 Bangkok, Taipei, Saigon und Berlin.

Klingt nach „Beruf Sohn“ und Aussteigerjahr – ist es aber nicht. Die Crew auf dem Bühnenrand ist die Crème de la Crème der deutschen digitalen Nomaden. Solopreneure. Sie reisen um die Welt, verweilen an coolen Orten und arbeiten von unterwegs. Als Blogger und online-Unternehmer. Die Welt ist das Büro, die Daten in der Cloud, die nötige Hardware im Rucksack.

Die Besten verdienen fünfstellige Summen – im Monat wohlgemerkt. Nicht am Anfang, aber nach zwei bis drei Jahren disziplinierter Arbeit beweisen die Pioniere, was geht.

Ein Trend wird wahrnehmbar

2007 hat ein Amerikaner mit einem Buch für Furore gesorgt– die 4-Stunden-Woche. Die steile These: Wenn man sich auf das wirklich Wesentliche fokussiert und alle Funktionen seines Business auslagert, kann man seinen Job mit vier Stunden pro Woche erledigen. Und zwar von überall auf der Welt. Von vielen gelesen, von manchen kopfschüttelnd belächelt – haben andere, angefixt von der Idee, nicht mehr ruhig schlafen können. Und einige setzen das um, was Timothy Ferriss in seinem Buch beschrieben hat.

Mein erstes Aha-Erlebnis in diese Richtung hatte ich vor zwei Jahren im Spanienurlaub.

Die_perfekte_Arbeitsumgebung

Die perfekte Arbeitsumgebung

Vierzehn Tage Familienurlaub standen an. Meine Firma ist so organisiert und mein Team so gut, dass ich im Urlaub wirklich frei habe, keine Mails lesen und nicht im Büro anrufen muss.

Mein Laptop ist trotzdem immer mit dabei – zum Googlen, wo es die besten Restaurants gibt und um mit zu sehen, ob der 1. FC Kaiserslautern gewonnen hat.

Verblüfft stellte ich in Spanien fest, dass sich inzwischen einiges verändert hat. Das WLAN in der Ferienvilla war super schnell. Die Flatrate meines Handys hätte mir stundenlanges Telefonieren ohne Mehrkosten erlaubt. WOW. Dieses Mal wollte ich einfach nur Urlaub machen – aber was als vage Idee schon lange in meinem Kopf rumspukte, wurde auf einmal greifbar: immer mal wieder eine Woche in der Sonne sitzen, aufs Meer schauen und Geschäftsideen entwickeln, schreiben oder einfach die Planung für das nächste Jahr auf die Beine stellen.

Die Idee lässt mich nicht mehr los

Etwas später war ich für ein paar Tage in Berlin. Hier war ich früher immer nur zu konkreten Terminen und immer fasziniert vom Pulsieren der wahrscheinlich hipsten und coolsten Stadt Deutschlands. Dieses Mal hatte ich nur abends Veranstaltungen und tagsüber Zeit. Ich ging täglich den gleichen Weg und am dritten Tag war der Döner-Laden „Mein Döner“. Ich fing an, mich heimisch zu fühlen. Auf dem Heimweg fragte ich mich, wie es wohl mit mehreren Wohnsitzen wäre. Zuhause fühle ich mich pudelwohl, bin glücklich. Aber die Impulse der Großstadt und die Denkpause in der Sonne – das ist immer mal wieder für eine Woche ein super Modell. So entstand mein erster kleiner Nomadenschritt: mein „virtual second home“ – Leben an drei Standorten: Winnweiler, Berlin und in der Sonne.

Auch im Netz verfolgt mich das Thema

Wochen später tauchte im Netz ein Bericht über die „digitalen Nomaden“ und die nächste Konferenz im Mai in Berlin auf. Innerhalb weniger Sekunden war die Anmeldung abgeschickt und der Termin im Kalender. Und auch jetzt, Monate später, bin ich immer noch ziemlich angefixt. Für mich selbst, für den Motivationsschub zum Aufbau des eigenen Online-Business und über den Trend, den die Pioniere des Digitalen Nomadentums setzen.

Digitale Nomaden live on stage

Auf der DNX traf ich sie dann. Cool, unkompliziert und fast ein bisschen überrascht, dass der eigene Traum tatsächlich funktioniert. Da standen sie jetzt auf der Bühne eines alten Kinos – rote Plüschsessel, Theateratmosphäre – mitten in Berlin und berichteten über ihr Business. 500 angehende digitale Nomaden hingen an ihren Lippen und holten sich Mut, Inspiration und eine Menge Tipps.

Am Ende des Tages standen diejenigen auf der Bühne, die bei der ersten DNX Feuer gefangen hatten. Und sie können nach nur wenigen Monaten auf beeindruckende Erfolge verweisen. Das steckt an.

Betroffen gemacht hat mich der verbreitete Frust über das normale Arbeitsleben. Wer sich bei der DNX als „ich bin noch im normalen Job angestellt“ geoutet hat, fühlt sich mies. Er hat es noch nicht geschafft. Fast alle, die nach Berlin gekommen sind, haben mit ihrem derzeitigen Arbeitsplatz und ihrem jetzigen Chef innerlich abgeschlossen. Sie wissen noch nicht genau wie, aber sie suchen nach dem Weg in eine andere, selbstbestimmtere, freiere Arbeitswelt. Und viele werden diesen Weg finden.

Der Frust, die Enttäuschung, die Resignation über die Realität in den heutigen Firmen ist mit Händen zu greifen. Wer nach einem Tag Homeoffice pro Woche fragt und abfällige Kommentare hört, versucht es nicht weiter. Wer nicht dem vollen Druck ausgesetzt bleiben will, und kein Gehör für den Wunsch nach einem Teilzeitjob oder einer Auszeit findet, sucht seinen Weg nicht mehr weiter innerhalb des Unternehmens. Das Leben als digitaler Nomade verspricht ganz andere Freiheitsgrade.

Ein neuer Trend?

Ich bin begeistert und fühle mich dennoch wie ein Wanderer zwischen den Welten. Die Leute, mit denen ich sonst zusammen bin – Unternehmer im Mittelstand, Personaler in Konzernen, Berater, Führungskräfte aus allen Ebenen – die können sich das nicht vorstellen und müssen sich warm anziehen, wenn sie nicht erleben wollen, dass die High Potentials von morgen lieber in die Sonne flüchten als sich auf den tristen Arbeitsalltag in der deutschen Arbeitswirklichkeit einzulassen.

„Jetzt mal nicht so schnell“, werden Sie vielleicht sagen. Man muss nicht gleich Angst vor überfüllten Stränden in Thailand und Bali und leeren Büros in Deutschland haben. Stimmt. Aber wie so oft werden Entwicklungen oft übersehen, solange sie noch klein sind. Und hinterher will es keiner gewusst haben. Als ob der Fachkräftemangel an sich nicht schon bedrohlich genug wäre – hier übersehen viele Chefs wichtige Trends. Damit wir uns nicht falsch verstehen: ein wirkliches Leben als digitaler Nomade fordert eine Menge Disziplin, Durchhaltevermögen und Unternehmergeist – wie im analogen Unternehmerleben. Das alleine wird schon dafür sorgen, dass die Büros in Deutschland nicht völlig verwaisen. Aber unterschätzen sollte man den Trend keineswegs.

Wie groß ist das Phänomen?

Welche Fragen wirft es auf? Und welche Chancen bietet es für mutige Unternehmer, die Zeichen setzen wollen?

Die Zahl der Digitalen Nomaden, die als Solopreneure so erfolgreich sind wie die Protagonisten auf der Berliner Bühne, ist sicher noch überschaubar. Aber:

  • Längst gibt es Plattformen, die online die Dienste von Freelancern vermitteln. Weltweit. Vom Design über Lektorat, Programmierung, SEO-Strategien bis zum Zeichnungsservice für Architekten. Diese Plattformen sind nicht mehr klein. (Auf einer dieser Plattformen werden alle zwanzig Sekunden fünfzehn Jobs vergeben und 1,2 neue Jobs hochgeladen. Die Nutzer kommen aus über 150 verschiedenen Ländern. Eine weitere Plattform wartet mit neun Millionen registrierten Freelancern auf.). Im Zuge der Digitalisierung können wahrscheinlich 5-10 % aller Arbeitsverhältnisse weltweit ortsunabhängig erbracht werden. Das klingt unglaublich viel, aber wen würde es wundern, wenn in 10 Jahren Dinge normal sind, die sich heute keiner vorstellen kann?
  • Es ist wie immer im Leben. Solange es nicht geht, bleibt es eine Träumerei. Haben aber einige Leute vorgemacht, dass es funktioniert, weckt das Begehrlichkeiten. Wenn Sie glauben, alle Zeichner, Programmierer, Texter, Redakteure, Telefonisten, Sachbearbeiter, etc. müssten im Büro sitzen –heute haben Sie noch recht. Weil sie es sich bisher nicht anders vorstellen konnten.

Womit Sie rechnen sollten

  • Wenn Sie bisher schon geschluckt haben oder sich gestört fühlten, wenn Mitarbeiter nach Homeoffice oder flexibleren Zeitmodellen gefragt haben – das ist der vorsichtige Anfang viel weitreichenderer Ansprüche.
  • Die Zahl der Mitarbeiter, die längere Auszeiten nehmen wollen oder Teile ihrer Arbeit ortsunabhängig erledigen wollen, wird steigen. Und die Zahl positiver Beispiele auch.

Man muss kein Prophet sein, wenn man annimmt, dass sich dieser Lifestyle bei Mitarbeitern schneller entwickelt, als Unternehmen dazu einen Rahmen schaffen bzw. erlauben. Das wird den Trend nicht aufhalten. Manche derer, die im Unternehmen kein Gehör finden, werden sich zu ganz neuen Firmen zusammentun und von Anfang an ihre Vorstellungen als Teil des Firmenkonzeptes einbauen. Die Folge wird sein, dass sich neue Firmen erfolgreich entwickeln, die von vorneherein „remote“ aufgestellt sind. Das heißt, komplett ohne Büro und festen Arbeitsplatz agieren, von Beginn an mit Menschen starten, die ortsunabhängig arbeiten wollen und Strukturen schaffen, die auf diese Art zu arbeiten ausgelegt sind. Prüfen Sie Ihr Business – sind Sie wirklich gefeit gegen Wettbewerber, die mit digital vernetzten Mitarbeiternetzwerken rund um die Welt agieren? Hier könnte sich eine neue Revolution abzeichnen. Erste Unternehmen in den USA und auch bei uns in Deutschland sind schon so aufgestellt.

Was Sie tun können

  • Beschäftigen Sie sich mit diesen Trends neuer Arbeit. Entdecken und erproben Sie den Reiz und die Chancen. Denken Sie sich hinein in das digitale Nomadenleben.
  • Gehen Sie mit gutem Beispiel voran und nutzen Sie selbst ortsunabhängiges Arbeiten. Das schafft Verständnis und eröffnet auch für Unternehmer neue Möglichkeiten.
  • Schaffen Sie Arbeitsgelegenheiten und Freiräume für einzelne oder Teams. Vereinbaren Sie mit Mitarbeitern einen Rahmen, in dem ihre Mitarbeiter Urlaubstage und Arbeitstage zu einem Trip mit Arbeit und Freizeit verbinden können.
  • Die Themen ortsunabhängiges Arbeiten, Flexibilität und Freiheit, Arbeiten aus der Sonne, surf&work-Camps etc. sind hip und werden es vermutlich noch mehr werden. Wenn Sie als Arbeitgeber hier konkrete, innovative Projekte umsetzen und die Nase aus der Masse herausstrecken, dürfen Sie mit guter Presse und top Resonanz bei potenziellen Mitarbeitern rechnen.
  • Eine gute Möglichkeit, sich mit neuen Arbeitsstrukturen zu beschäftigen, ist es, selbst Freelancer über entsprechende Portale einzusetzen und das eigene Team dadurch zu ergänzen und zu entlasten.
  • Sich mit den rasend schnell entwickelnden Online-Business-Modellen zu beschäftigen, ist schon aus Gründen der Existenzsicherung als Unternehmer essentiell. Wenn Sie es aus dem Blick des digitalen Nomadentums tun – auch in Ordnung. Prozesse des ortsunabhängigen Arbeitens sind ja auch praktisch, wenn man gerne zu Hause auf der Terrasse oder im Kreise seiner Familie ist.

Ressourcen und Links zur Vertiefung

Webseiten

Wirelesslife.de – Hier finden Sie alle Informationen rund um das selbstbestimmte Leben und ortsunabhängige Arbeiten. Sebastian Kühn führt dieses Leben selbst und lebt in Shanghai, wenn er nicht gerade um die Welt reist.

Travelworklive.de – Wie der Name schon sagt, ist dieser Blog in drei Bereiche aufgeteilt, die zusammen ein Leben als Digitaler Nomade ergeben. Sebastian Canaves berichtet nicht nur darüber, wie er sein Business und sein Leben gestaltet, er liefert auch Angaben und konkrete Zahlen zu seinen Einnahmen.

Digitalenomaden.net – Hier liefern die Gründer der DNX, Felicia Hargarten und Marcus Meurer, die wichtigsten Antworten für den Start als Digitaler Nomade. Vom Arbeiten unterwegs über Online Marketing bis hin zur Unternehmensgründung bleiben keine Fragen offen.

Earthcity.de – Auch Tim möchte anderen Menschen den Einstieg in die kreative Selbstständigkeit ermöglichen. Neben den kostenlosen Inhalten auf seinem Blog und im I love Mondays Podcast hat er auch zahlreiche Bücher zum Thema ortsunabhängiges Arbeiten geschrieben.

101places.de – Patrick berichtet über sein Leben als Digitaler Nomade und gibt Tipps zu verschiedenen Destinationen, die er selbst schon bereist hat.

Planetbackpack.de – Der größte Reiseblock Deutschlands. Conni schreibt hier nicht nur über das Reisen nur mit Rucksack, sondern auch über das Leben und Arbeiten als Digitale Nomadin mit Interessen wie Yoga und Meditation.

Selbstaendig-im-netz.de – Eine sehr gute Ressource um sich über alles zu informieren, was mit der digitalen Selbstständigkeit zu tun hat.

Bücher

Die Kunst anders zu leben von Chris Guillebeau – Dieses Buch hat schon so manchen auf neue Ideen gebracht. Wer nicht weiß, ob er sich wirklich selbstständig machen möchte oder nicht, dem werden hier alle Zweifel genommen.

Die vier-Stunden-Woche von Timothy Ferriss – Der Klassiker unter den Digitalen Nomaden. Für viele begann mit diesen Buch das Umdenken und der Start in ein neues, selbstbestimmtes Leben.

Smart Business Concepts von E.C. Gromberg – In diesem Werk gibt es Fachwissen ohne Ende. Wer in Deutschland erfolgreich ein Solopreneur-Business aufziehen möchte, ist mit diesem Buch bestens beraten.

Kopf schlägt Kapital von Günter Faltin – Dieses Buch erklärt, wie man auf unkonventionelle Art und Weise ein erfolgreiches Unternehmen gründen kann. Es geht hierbei um die Umsetzung eigener Ideen auf kreativer Ebene. Untermauert werden Faltins Aussagen von zahlreichen Beispielen.

Film

Digitale Nomaden- Deutschland zieht aus – Der erste deutschsprachige Film zum Thema Digitale Nomaden von und mit Thorsten Kolsch. In Interviews mit Digitalen Nomaden aus Deutschland wird verdeutlicht, was es bedeutet als Digitaler Nomade zu leben und zu arbeiten.