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Der Begriff „Work-life-Balance“ wird seit vielen Jahren inflationär verwendet. Dabei ist der Begriff Blödsinn. Selbst bei wohlwollender Betrachtung stecken viele Missverständnisse in dem weit verbreiteten Buzz-Word. Auf der Suche nach Glück und Erfüllung einerseits und mehr Flexibilität im Arbeiten von Morgen kommt es auf ganz andere Dinge und feine Unterscheidungen an.

Podcastfolge #35

„Work-Life-Balance“ – wie ein blödsinniger Begriff den Blick auf das Wesentliche verstellt

Themen:

  • Work-Life-Balance – warum der Begriff schon doof ist.
  • Wie das unausgesprochene Konzept hinter dem Begriff überholte Haltungen am Leben hält.
  • Es geht um Rhythmus, nicht um Balance – warum erst die Abwechslung das Leben interessant macht.
  • Warum der Wechsel zwischen Fokus und Entspannung wirklich entscheidend ist.
  • Radikal gedacht – so entstehen viel weitergehende Optionen für Menschen und Unternehmen.
  • Wo gute Arbeitgeber anders denken und neue Möglichkeiten schaffen – für mehr Lebensqualität und höhere Produktivität.

„Work-Life-Balance“ – wie ein blödsinniger Begriff den Blick auf das Wesentliche verstellt

Das inflationäre Konzept der „Work-Life-Balance“

Alle reden von Work-Life-Balance. Warum dieser Begriff Blödsinn ist und den Blick auf das Wesentliche eher verstellt.

Der Begriff Work-Life-Balance ist in aller Munde, steht in jeder Stellenanzeige und wird immer und überall verwendet. Dabei denke ich, dieser Begriff ist auf mehreren Ebenen kompletter Blödsinn. Jetzt ist vielleicht oft eine positive, nachvollziehbare Intention dahinter, aber mit diesem Begriff und der Art, wie er verwendet wird, transportieren wir ganz viel althergebrachtes, überholtes Denken. Damit verstellen wir den Blick auf eigentlich viel klügere Unterscheidungen. Heute soll es darum gehen, diesen Begriff mal kritisch zu hinterfragen. Ich zeige Ihnen bessere und feinere Unterscheidungen aufzuzeigen, wie Unternehmen und einzelne Führungskräfte und Mitarbeiter das dann auch umsetzen können und von einem anderen Verständnis profitieren können.

Arbeit als Teil des Lebens

Wenn ich jetzt von Blödsinn rede, ist das ein hartes Urteil, aber haben Sie schon mal drüber nachgedacht, ob Sie eine gute Geldschein-Geld-Balance haben oder eine Bäume-Wald-Balance? Das ist totaler Blödsinn, aber eine Work-Life-Balance findet gleichzeitig jeder normal. So als ob Arbeit kein Teil des Lebens wäre. Also in dieser Verkürzung ist es rein von der Begrifflichkeit her völliger Unsinn. Arbeit ist ein wesentlicher Teil des Lebens, ein integraler Bestandteil und es kann doch nicht darum gehen, die Arbeit vom Rest des Lebens abzugrenzen.

Wollen wir über diesen offensichtlichen Tatbestand jetzt trotzdem mal großzügig hinwegschauen. Gehen wir mal davon aus, dass irgendwie gemeint ist, das Arbeitsleben vom Privatleben zu unterscheiden, dann ist das immer noch Blödsinn, weil dahinter eigentlich sogar eine gefährliche alte Haltung steckt. Implizit steckt da immer drin: Das Arbeitsleben ist das Anstrengende, ist das, was dazu neigt, ein Übergewicht zu bekommen und der Rest des Lebens ist irgendwie das Wichtige, das persönlich Gesunde, Entspannende.

Denken Sie mal an junge Eltern, die kleine Kinder haben und gerade ein Haus gebaut haben, die gleichzeitig im Beruf auch stark gefordert sind. Es bleibt offen, ob das, was nach Feierabend kommt, wirklich entspannender als der Arbeitsalltag ist. Sie sehen schon, diese klassische Abgrenzung sollte man infrage stellen.

Nimmt die Arbeit zu viel Raum ein?

Wenn jetzt Work-Life-Balance gut sein soll, heißt dann z.B. eine tolle Arbeit und tolles Privatleben. Das ist dann eine gute Work-Life-Balance. Das ist ja logisch. Aber miese Arbeit, tolles Privatleben oder tolle Arbeit, mieses Privatleben? Das ist dann eine unausgeglichene Work-Life-Balance. Das würde ja dann bedeuten mieser Job, mieses Privatleben ist wieder eine gute Work-Life-Balance. So kann es ja irgendwie auch nicht gemeint sein.

Gefährlicher finde ich eigentlich das oft unausgesprochene Bild, was hinter diesem Konzept von Work-Life-Balance steckt. Da ist – oft unausgesprochen – der Arbeitsbereich der, der dazu neigt, zu viel Raum einzunehmen, während der private Teil vielleicht zu kurz kommt. Dann würde man von einer schlechten Work-Life-Balance sprechen. Das heißt explizit: Die Arbeit ist das Schlechte. Der Arbeitgeber will zu viel von mir haben und ich muss möglichst viel von dem, was mir privat wichtig ist, aus der Arbeit rausziehen, möglichst viel Energie rausziehen. Oder andersherum: Ich trete in der Arbeit an, tue das, was dort zu tun ist und versuche mich dem so weit wie es geht, zu entziehen, um selber in einer guten Balance zu sein. Das ist doch irgendwie ein krankhaftes Verständnis.

Das ist verständlich, wenn die Arbeit schlecht und der Arbeitgeber ausbeuterisch ist. Das ist aber überhaupt nicht verständlich in einem Arbeitsumfeld von Arbeiten und Zusammenarbeiten auf Augenhöhe mit einer Aufgabe, die einem Freude macht, die zu den eigenen Lebenszielen passt. Auch diese Abgrenzung halte ich für gefährlich, weil wir unbewusst ein altes, überholtes Bild und eine Haltung von Arbeit und dem Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer einfach weiter in die Zukunft transportieren und nicht mehr in Frage stellen.

Work-Life-Balance – das Problem mit der Balance

Genauso wenig stellen wir dabei in Frage, dass dieser Bereich der Arbeit möglichst kompakt zeitlich verstanden wird, also an einem Tag von 9 bis 17 Uhr plus minus von Montag bis Freitag. Die Abende, die Wochenenden, die anderen Zeiten sind einfach außen vor und diese schützt man für sich privat. Das wird auch durch entsprechende Gesetze, Spielregeln, Betriebsvereinbarungen unterstützt und ist ziemlicher common sense. Klug ist es deshalb jedoch noch lange nicht.

Ein dritter Aspekt in dem dieser Begriff der Work-Life-Balance fragwürdig ist und ein falsches Bild impliziert, ist der Begriff der Balance. Natürlich ist eine Lebens-Balance etwas ganz Wichtiges. Verstanden wird es aber häufig als eine Gleichmäßigkeit. Und das ist das Gegenteil von lebendig, interessant und entwickelnd. Eine Gleichmäßigkeit kann ganz entspannend sein, na klar. Und es gibt Menschen, die brauchen ein bisschen mehr Abwechslung und andere ein bisschen weniger. Hingegen kann eine Ausgeglichenheit im Sinne von Gleichmäßigkeit kann auch extrem langweilig und unterfordernd sein.

Work-Life-Balance braucht Rhythmus

Menschliches Leben ist Rhythmus. Das braucht Phasen der Anspannung und der Entspannung und eine Balance, die zu wenige Ausschläge hat, ist, wie wenn Sie einen Herzschlag anschauen. Wenn da keine Ausschläge mehr sind, ist das Leben vorbei. Zusammengefasst ist da natürlich vordergründig dieser unsinnige Widerspruch zwischen Work und Life, der logisch gar nicht funktioniert. Es ist aber auch diese strikte und feste Abgrenzung zwischen Arbeiten und Privatleben, gebündelt in einem festen Zeitblock in der Mitte der Woche für die Arbeitszeit. Und es ist dieses aus meiner Sicht falsche Verständnis von Gleichmäßigkeit im Sinne von Balance, das überhaupt nicht dem entspricht, wie Menschen lebendig und entwickelnd Leben empfinden und auch Glück und Erfüllung erleben.

Work-Life-Balance – Integration von Arbeit und Leben

Und deswegen lassen Sie uns mal hinschauen: Wie könnte man bessere Unterscheidungen treffen, die dann auch ganz neue Möglichkeiten für die Gestaltung des eigenen Lebens inklusive des Arbeitslebens eröffnen?

Leben und Arbeitsleben neu gestalten

Eine erste, aus meiner Sicht bessere Unterscheidung ist der Ansatz, die Lebensbereiche zu integrieren, statt sie abzugrenzen, sich also zu fragen: Wie können sich die verschiedenen Spielfelder meines Lebens gut ergänzen? Wie kann ich mein privates Leben so organisieren, dass meine Arbeitsproduktivität dadurch steigt? Und wie kann das, was, wie und wann ich arbeite, wiederum mein Privatleben unterstützen?

Das kann man betrachten z.B. von dem Ort des Arbeitens aus. Viele Menschen haben in den letzten Monaten erlebt, wie angenehm das sein kann, viel Zeit im Homeoffice zu verbringen. Auch wenn wir es jetzt vielleicht unfreiwillig getan haben. Aber sich Zeiten des Pendelns zwischen Büro und Zuhause einfach zu sparen, dadurch gewinnt man unglaublich viel Lebensqualität. Wenn Menschen auch bei ihren Eltern, in einem anderen Land oder irgendwo am Meer oder in den Bergen mal eine Woche arbeiten können und können bei voller Berufstätigkeit dann abends einem Hobby nachgehen, was sie sonst gar nicht machen könnten oder Freunde besuchen, dann ist es eine kluge Integration und es hat keiner einen Nachteil.

Wenn Unternehmen ermöglichen, dass jemand einen Hund mit ins Büro bringen kann, dann ist das private Ziel des Hundehaltens und die längere Anwesenheit im Büro gar kein Widerspruch. Wenn man Arbeitszeiten so entzerrt, dass man eine viel bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreicht, sich mittags drei Stunden um Familie und Kinder und Haus kümmert und dann abends nochmal eine Weile arbeitet, dann erlaubt das eine ganz andere Integration und alle profitieren.

Work-Life-Balance – individuelle Lösungen finden

Wenn Unternehmen und Mitarbeiter darüber nachdenken, wie vielleicht der eine, der sehr gerne reist, Teile seiner Tätigkeit an Außenstellen bei Kunden verbringen kann und wie jemand anderes, der gerne eher zurückgezogen und dafür vielleicht mit ganz anderen Hobbymöglichkeiten auf dem Land lebt, große Teile seiner Tätigkeit von dort verrichten kann, dann ist es ein Win-Win für alle Beteiligten. Also zu überlegen, wie können die verschiedenen Lebensbereiche sich gegenseitig befruchten? Wie kann ich auf der einen Seite hochproduktiv sein und meine Lebensqualität steigern – für das private Leben und umgekehrt?

Work-Life-Balance – Balance finden

Die zweite Unterscheidung, die ich mitgeben möchte, ist die Balance. Und zwar jetzt nicht im Sinne von Gleichmäßigkeit, sondern durchaus mit großen Ausschlägen, aber trotzdem einer gesunden Balance, und zwar zwischen Fokus und Entspannung, zwischen konzentriertem Arbeiten und richtigem Loslassen und Inspiration. Das sind im Grunde die Energien, die sich total unterscheiden. Und es hat gar nichts mit Arbeiten oder privat zu tun.

Fokus und Entspannung

Nehmen Sie dieses Beispiel: In der Arbeit kann sehr viel Fokus und Konzentration vonnöten sein. Da gibt es aber auch Entspannungsphasen. Auch im Privatleben gibt es natürlich Phasen der hohen Anspannung. Ob sie sich gerade sehr konzentriert um die Kindererziehung kümmern, ob sie sehr konzentriert privaten Hobbys nachgehen oder Konflikte im Freundeskreis lösen. Es gibt ganz viele Dinge, bei denen sie genauso gefordert sind wie im Beruflichen. Die entscheidende Größe ist also nicht Beruf oder Privatleben, sondern die ist Fokus oder Entspannung.

Wir Menschen brauchen dabei eben genau nicht die Gleichmäßigkeit. Wenn Sie so zurückdenken, welche Phasen im Leben Sie als besonders erfüllend erlebt haben, auf die wir besonders stolz sind, dann sind das häufig Phasen, die eigentlich wahnsinnig anstrengend waren. Dann sind es Phasen, wo wir unglaublich viel geleistet haben, wo wir vielleicht auch über uns hinausgewachsen sind und dann am Ende ein tollen Erfolg gefeiert haben. Im Nachhinein ist man durch solche extrem anstrengenden Phasen gereift, gewachsen und glücklicher geworden.

Genauso können Phasen, an die wir uns sehr erinnern, richtig gute Entspannungsphasen, Inspirationsphasen gewesen sein. Reisen, ein langes Wochenende, eine gemeinsame Wanderung mit Freunden, was auch immer.

Balance zwischen Fokus und Entspannung

Also die Botschaft: Ich brauche Phasen der konzentrierten, fokussierten Anspannung und ich brauche Phasen des echten Loslassens und der Entspannung. Und das gilt auf allen Spielfeldern. Das Entscheidende ist der Wechsel. Das Entscheidende ist dieser Rhythmus und die Balance zwischen diesen beiden Dingen.

Wer nur in der Anspannung bleibt, für den gilt der Spruch: Der stets gespannte Bogen bricht. Das führt dann irgendwann zum Burnout oder in jedem Fall zu ungesunden Situationen. Erst durch die richtige Entspannung kann ich wieder inspiriert und mit Freude konzentriert arbeiten. Wer nur entspannt und sich gar nicht mehr richtig fordert, kommt automatisch auch irgendwie in so einer Mittelmäßigkeit an und resigniert und es fällt das Leuchten in den Augen. Beide Extreme sind also ungesund. Ein guter Ausgleich, ein guter Wechsel in einem guten Rhythmus bringt eine gesunde, leistungsfähige Balance.

Work-Life-Balance – im eigenen Rhythmus

Die dritte Dimension und Unterscheidung ist der Rhythmus. Ich appelliere hier zu sehr viel mehr Flexibilität. Der Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung, die Betonung bestimmter Spielfelder, ist nicht immer gleich. Das sollte man unbedingt berücksichtigen. Welcher Rhythmus passt zu mir und meiner Lebenssituation, zu meinem Unternehmen und der aktuellen Arbeitssituation?

Ein solcher Rhythmus kann und sollte sich auch unterscheiden. Das kann ein Rhythmus sein, der, wenn man die große Spanne nimmt, durch ein Leben, durch ein Berufsleben geht. So kann es Phasen geben, in denen Menschen sagen, dass sie sich sehr stark um ihre Kinder kümmern möchten und dann nur 20, 25 Stunden arbeiten wollen.

Gleichermaßen kann das eine Phase sein, in der man bestimmte Karriereschritte nicht macht und dafür vorerst seinen Fokus auf ein anderes Spielfeld, nämlich die eigenen Kinder legt. Nun kann man dann zwei, drei Jahre später genau das Gegenteil wollen und dann mit 40, 50 Stunden vollem Engagement in dem beruflichen Bereich Gas zu geben und ganz anders zu arbeiten. Rhythmus kann auch bedeuten, dass es eine Lebensphase gibt, in der man sagt: Jetzt möchte ich viel reisen und viel erleben und eine andere Lebensphase, in der man gerne viel mehr zuhause sein möchte, weil man einfach bequemer und ruhiger geworden ist oder weil man Angehörige pflegen oder betreuen möchte. Das kann völlig unterschiedliche Gründe haben und jeder davon ist zulässig.

Flexibler Lebensrhythmus statt Work-Life-Balance

Ein solcher Rhythmus kann zudem auch über das Jahr verteilt sehr flexibel gehandhabt werden. Dieser Rhythmus kann natürlich auch in der Zeitspanne von einer Arbeitswoche aber auch der gesamten Woche sehr viel zum Wohlbefinden des Menschen beitragen. Eine Woche hat sowieso einen so impliziten guten, gesunden Rhythmus. Der Montag hat eine andere Qualität als der Freitag. Am Anfang der Woche kann man Dinge organisieren, klären, abstimmen. Aber Dinge, die strategischer sind, über die man ein bisschen mehr in Ruhe nachdenkt, die passen eher an ein Ende der Woche. So gibt es Menschen, die gerne nochmal einen Tag am Ende der Woche zum Reflektieren, zum Lernen haben. Es kann diesem inneren Rhythmus einzelner Menschen sowie ganzer Teams sehr entgegenkommen, einen bestimmten Charakter des Arbeitens auf einen bestimmten Wochentag zu legen.

Genauso ist es möglich, dass wieder andere sagen: Ich komme montags zwei Stunden später, bleibe dann dafür länger und die Arbeitszeiten sind durch die Woche verteilt, nicht ganz gleichmäßig. Also darüber mal nachzudenken, welcher Rhythmus im Kleinen – Tag, Woche, Monat – kommt mir persönlich entgegen und wie lässt es sich mit den Anforderungen des Unternehmens und meiner Kollegen so verbinden, dass letztlich für alle ein guter Rhythmus entsteht? Das ist eine absolut lohnende Frage.

Work-Life-Balance – im Wandel der Arbeitswelt

Wenn man jetzt nochmal radikaler auf diese ganze Situation schaut, dass sich die Arbeitswelt und die Form, wie wir in Zukunft arbeiten, gerade grundlegend verändert und diese Entwicklung gerade erst anfängt. Unter diesem Gesichtspunkt lassen Sie uns nochmal ein bisschen grundsätzlicher darauf schauen.

Das überholte Verständnis von Work-Life-Balance

Ich habe ja eingangs dieses alte Bild formuliert: da gibt es eine anstrengende, abhängige Arbeit und ein erholsames, persönlich wichtiges Privatleben. Das kommt aus einer alten, sagen wir mal Ausbeuter-Mentalität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Und wenn Unternehmen und Chefs heute solche Haltungen haben, dann funktioniert das Bild, welches ich hier beschreibe, natürlich auch nicht. Da braucht es ein Miteinander auf Augenhöhe und ein gemeinsames Schauen: Wie kann das, was jemand in seinem Leben leben will, mit dem, was ein Unternehmen braucht, so zusammengehen, dass beide profitieren?

Wenn man aber sieht, welche Möglichkeiten des Arbeitens in vielen Branchen entstehen, dann könnte man einen ganz anderen Grundgedanken haben, als das bisher immer üblich war. Üblich war nämlich: Da ist eine Firma, die hat eine Arbeitsstelle, jemand bewirbt sich und kriegt die Stelle. Nun zieht er/sie dorthin, richtet sein persönliches Leben um diesen Arbeitsplatz herum aus und guckt, wie möglichst viel an persönlicher Zeit übrig bleibt, um an den Abenden und Wochenenden das dann auch noch mit Leben zu füllen.

Wie ich mir Work-Life-Balance vorstelle

Das neue Bild wird ein ganz anderes sein, wenn Menschen zunehmend dort arbeiten können, wo sie leben wollen. Wenn Menschen, gerade die gut Ausgebildeten, sich ihre Jobs immer mehr aussuchen können, dann werden auch immer mehr Menschen den Spieß einfach umdrehen und sich zuerst fragen: Wie will ich eigentlich leben? Wie viel will ich denn arbeiten? Wo will ich leben und arbeiten? Und was hab ich sonst noch so für Randbedingungen, die ich einfach setze? Und dann suche ich einen Arbeitgeber und eine Arbeit, die mir das ermöglicht.

Das klingt vielleicht für viele Ohren noch weit weg und es ist auch für viele Arbeitnehmer nicht so einfach umzusetzen. Ich kenne aber viele, vor allem dann Selbstständige, auch Unternehmer, die sehr stark von diesem Gedanken geprägt sind, sich ein Lifestyle-Business aufzubauen. Also selbst erst zu überlegen wie man leben möchte und wie man das mit seiner Arbeit so kombinieren kann, dass beides super zusammenpasst.

Und je selbstbewusster Mitarbeiter werden, desto mehr Menschen werden genau diesen Weg andersherum denken und die entsprechenden Anforderungen formulieren und Fragen stellen. Arbeitgeber sind gut beraten, sich damit anzufreunden und zu überlegen: Wie kann man denn diesen Bedürfnissen gerecht werden?

Moderne Work-Life-Balance als Chance für Unternehmen

Wenn Sie also soweit mit mir gehen, dass wir sagen: Vergessen wir Work-Life-Balance, wie das bisher verwendet wird. Denken wir eher darüber nach, wie man verschiedene Lebensbereiche integrieren und so kombinieren kann, dass sie sich gegenseitig unterstützen und befruchten. Schauen wir auf eine Balance zwischen Fokus und Entspannung in allen Lebensbereichen. Das hält gesund, lebendig und macht uns zufrieden. Außerdem sollten wir einen Rhythmus sowohl im Kleinen, im Tag, in der Woche, wie auch auf Jahresfrist oder Lebensphasen-Frist bezogen, entwickeln. Dann entsteht eine ganz hohe Qualität, ein riesiges Potenzial, das eigene Leben, inklusive des Arbeitslebens, besser, nützlicher und erfüllender zu gestalten. Und das nicht zum Nachteil des Unternehmens, sondern im Gegenteil auch zum Vorteil des Unternehmens, weil auch meine Produktivität und Loyalität zu einem Unternehmen steigt, wenn ein Unternehmen mir diese berufliche Flexibilität ermöglicht.

Die Konsequenzen

Was hat das für Konsequenzen? Fangen wir mal bei dem einzelnen Menschen an, der in irgendeiner Form als festangestellter Mitarbeiter, als Freelancer in einem Unternehmen arbeitet und mit Unternehmen arbeitet. Das, was längst schon möglich wird, zeigt viel mehr Gestaltungsoptionen, ganz andere Arbeitszeiten, die sich z.B. nach dem persönlichen Schlafrhythmus richten.

Für Mitarbeiter

Das kann unterschiedliche Modelle beinhalten an dem Ort, an dem man arbeitet. All das, was wir so angesprochen haben, als Variablen beinhalten. Die Botschaft zu einzelnen Mitarbeitern ist: Trauen Sie sich, Modelle zu denken, die Ihre persönliche Lebens- und Arbeitsqualität verbessern und letztlich auch die Produktivität für das Unternehmen steigern. Gehen Sie also ins Gespräch, gehen Sie in den Dialog. Seien Sie dabei geduldig. Machen Sie gute Vorschläge und entwickeln Sie mit Ihren Führungskräften und Ihrer Personalabteilung vielleicht auch Ihre eigene Rolle zunehmend flexibler. Letztlich profitieren davon alle.

Für Führungskräfte

Lassen Sie uns auf die Führungskräfte und die Unternehmen schauen. Es profitieren alle, das ist für mich ein entscheidender Satz dabei. Die wichtige Voraussetzung ist, dass Führungskräfte und Personalabteilungen und die Unternehmen nicht beleidigt reagieren, wenn jemand auf einmal Vorstellungen formuliert, die im alten Denken unerhört waren. Das ist kein Grund, persönlich beleidigt zu sein, sondern eher über diese althergebrachten und ich würde sagen überholten Haltungen, wie denn ein Mitarbeiter zu funktionieren hat und wann der wo da zu sein hat, die einfach über Bord zu werfen und mal in Frage zu stellen und auf ein Modell gedanklicher Augenhöhe einzusteigen.

Wir empfehlen grundsätzlich, den Blick in der Personalentwicklung immer dahin zu richten: Wo möchte der Mensch in seinem Leben hin? Und wie möchte jemand sein Leben gestalten? Jeder, der darüber eine klare Vorstellung hat, bringt damit auch eine sehr gute Verhandlungsgrundlage in ein Gespräch über die betriebliche Karriere mit. Wenn ich weiß, wo jemand persönlich hinwill, kann ich die Vorstellungen, die wir im Unternehmen haben, was wir bieten können, was wir brauchen, was wir erwarten, formulieren und kann gemeinsam schauen, inwieweit da eine vielleicht längere gemeinsame Reise funktioniert und mit welchen betrieblichen Zielen und Karriereschritten die Lebensplanung des Mitarbeiters unterstützt werden kann. Mit dieser Haltung ist die Chance groß, dass man ganz interessante und unterschiedliche Modelle findet, von denen wiederum alle profitieren.

Klar ist: Das erfordert auch ein hohes Maß an Eigenverantwortung bei Mitarbeitern. Wenn Menschen die verschiedenen Lebensbereiche kombinieren, dann kann ich die als Arbeitgeber nicht mehr kontrollieren. Dann brauche ich Vertrauen und muss mich darauf verlassen können, dass Menschen sich eigenverantwortlich für ihre Ziele einsetzen. In aller Regel tun Mitarbeiter das auch sehr, sehr gerne. Tun sie es nicht, hat man eigentlich ein anderes Problem in Sachen Führung, Unternehmenskultur und Vertrauen.

Anpassungen sind in allen Branchen möglich

Jetzt ist mir eines wichtig: Viele Menschen denken, wenn sie diesem Podcast jetzt zuhören: Das geht ja vor allem für Wissensarbeiter, für die, die mit ihrem Laptop und einem guten Internet eigentlich arbeiten können, wo und wann sie wollen. Das stimmt auch, dass Menschen, die bisher im Büro gearbeitet haben, natürlich ganz besonders viele Freiheitsgrade haben und leben können. Aber eine Flexibilität und die Anpassung, einen persönlichen Rhythmus, das gibt es im Grunde in allen Branchen. Lassen Sie uns mal zum Beispiel in Branchen schauen, in denen Menschen eben doch an einem bestimmten Ort sein müssen. Ob das in der Produktion ist, wo man eine Maschine nur betreuen kann, wenn man daneben steht. Ob das in der Pflege ist, wo man Menschen betreut und einfach bestimmte Zeiten abgedeckt werden müssen, dann braucht es die Präsenz vor Ort.

Produktivität und Work-Life-Balance

Jetzt ist das Leben kein Wunschkonzert und da kann nicht jeder ganz frei arbeiten. Aber trotzdem ist es natürlich möglich, z.B. in einem Team eine Schicht-Planung so zu organisieren, dass möglichst viele Wünsche unterschiedlicher Menschen berücksichtigt werden. Und natürlich ist es schwieriger, eine Schicht-Planung zu machen, wenn einer nur montags bis mittwochs am Vormittag arbeitet, wenn jemand anderes nur 20 Stunden arbeitet und nur nachmittags, zwei andere dann fulltime arbeiten und jemand anderes montags nicht will oder nicht kann und dann noch jemand kommt, der sagt vor 10 Uhr morgens ist für mich eigentlich eine Zumutung und andere sagen kann ich schon um fünf beginnen und dann um 12 zu Hause sein?

Natürlich ist das schwieriger, aber wenn man das so organisiert, dass die Mitarbeiter in einem Team untereinander sehr viel Freiheitsgrade haben, sich Schichtpläne und Arbeitszeiten so einzuteilen, dass alle Dienste abgedeckt sind und es nicht per Order vorgegeben wird, sondern in den Teams viel Freiraum entsteht, dann bietet das eine riesige Chance, dass allen geholfen ist. Aus meiner Erfahrung ist es auch so, wenn Menschen spüren, dass das Unternehmen, die Kollegen, Teamleiter, Führungskräfte sich darum bemühen, dass die Form der Arbeit mit den persönlichen Anforderungen gut zusammengeht, dann ist in der Regel die Bereitschaft immer auch da, Dienste zu übernehmen, die sonst vielleicht gerade keiner übernehmen kann. Weil ja jedem klar ist, dass nicht jeder Wunsch erfüllt werden kann.

Arbeitet man dann noch darauf hin, dass sich Menschen in einem Team gegenseitig besser vertreten können, dass manche Dienste von vielen unterschiedlichen wahrgenommen werden können, entsteht viel Flexibilität und das Team kann sehr viel selbst regeln. Also auch in Bereichen, die nun überhaupt nicht von Remote-Arbeit profitieren, kann eine zeitliche Flexibilisierung bei einer Schicht-Planung zum Beispiel funktionieren.

Beispiel: Die Vier-Tage-Woche

Ich kenne Handwerksunternehmen, die das Ziel verfolgen, auf eine Vier-Tage-Woche zu kommen, um einfach Mitarbeitern auch da einen anderen Rhythmus zu erlauben. Wenn man weiß, die Tage sind hart, die Arbeit ist hart, die Tage sind vielleicht auch lang, weil man An- und Abfahrten hat. Ja, warum dann nicht auf ein z.B. Vier-Tage-Modell gehen? Und dann können Menschen sagen: Okay, ich habe vier harte Arbeitstage, dafür hab ich dann aber auch drei Tage, an denen ich mich um andere Dinge kümmern kann. Also auch da ein bisschen abzugehen von den althergebrachten Dogmen, wie Arbeit zu funktionieren hat und mit mehr Variablen, anderer Arbeitszeit, andere Orte, längere Zeiten ohne Arbeiten zwischendurch, experimentieren, diskutieren und Lösungen finden, die für die eigene Branche und das eigene Unternehmen funktionieren. Da gilt wie überall: Die einen suchen Gründe, warum es nicht funktioniert, die anderen suchen Lösungen, wie es auch bei uns funktionieren kann.

Setzen Sie der Work-Life-Balance ein Ende

Wenn man das alles nochmal als gesamten Gedanken betrachtet, dann heißt es: Vergessen Sie dieses klassische althergebrachte Denken und Sprechen über die Work-Life-Balance. Überlegen Sie eher, wie man die verschiedenen Spielfelder des Lebens sich ergänzen lassen kann, wenn man sie klug miteinander verschränkt, eine gute Balance zwischen Fokus und Entspannung hinbekommt und einen Rhythmus, der zu Menschen und ihren Lebenssituationen passt.

Was trotzdem wichtig ist und klug ist, ist, das, was man tut, was gerade dran ist, wirklich auch zuzulassen und Ablenkungen zu vermeiden. Wenn sie fokussiert an etwas dran sind, dann wirklich fokussiert zu bleiben und Ablenkungen auszuschalten. Und wenn man entspannt, dann auch wirklich zu entspannen und auch wieder Ablenkungen auszuschalten. Die Vermischungen – dann macht man weder das eine richtig noch das andere – die kosten Lebensqualität.

Es kann sehr wohl klug sein, Vereinbarungen zu treffen, dass man sich am Wochenende oder nach einer bestimmten Uhrzeit keine Nachrichten mehr schickt und dass man dann auch nicht erreichbar ist und niemand erwartet, dass man antwortet. Als ein Beispiel. Dazu kommen wir in späteren Folgen nochmal mehr, wie man sich diese persönliche Lebensqualität im Sinne eines guten Zeit- und Selbstmanagements organisieren kann. Aber auch da ist das Unternehmen und sind die Spielregeln, die man miteinander entwickelt Gold wert für die Qualität des Arbeitens und letztlich die gesamte Lebensqualität der beteiligten Menschen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen vielleicht neuen und frischen Blick auf das, was man früher als Work-Life-Balance bezeichnet hat, was ich heute bezeichnen würde einfach als die Lebensqualität und den Lebensstil, in dem jemand sein Leben gestaltet mit allem, was dazugehört. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gute Woche.