Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Libsyn Podcast-Player zu laden.

Inhalt laden

Annahmen über die Zukunft muss jeder treffen, der ein Unternehmen führt. Nur wie? Von welchen Trends können wir ausgehen? Was ist heute schon erkennbar? Wie stellen wir uns auf wahrscheinliche Entwicklungen in Technologie, Gesellschaft und Arbeitswelt ein? Diese Fragen bespreche ich mit einem der renommiertesten Zukunftsexperten. Dr. Pero Micic ist Gründer und Vorstand der Future Management Group AG, Autor mehrerer Bücher und berät zu Zukunftsmärkten und Zukunftsstrategien.

Die Themen:

  • Können wir die Zukunft vorhersehen? Wie sich Zukunftsmanagement versteht.
  • Wie Künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Automatisierung die Arbeitswelt verändern.
  • Was bleibt noch für uns Menschen? Eine kritische Frage und ermutigende Antworten.
  • Was Menschen für die Zukunft lernen sollten – als Beruf, persönlich und wir gemeinsam als Gesellschaft
  • Warum Unternehmen eine klare Mission als ordnendes Element benötigen
  • Wie Führungskräfte Unternehmen erfolgreich in die Zukunft führen

Links:

Podcastfolge #7

Können wir Zukunft vorhersehen?

Interview mit Dr. Pero Micic

Eine der wichtigsten Fragen für potentielle Mitarbeiter ist: Hat Ihr Unternehmen eine glänzende Zukunft? Und dafür muss man wissen, wie die Welt sich entwickeln wird und wie man sich darauf richtig einstellt. Dazu führe ich ein sehr umfassendes Interview mit einem der renommiertesten Experten für Zukunfts-Management in Deutschland.

Stefan Dietz: Ich freue mich, heute hier in Walluf zu Gast zu sein. Die Frage „Wohin entwickelt sich unsere Welt und unsere Arbeitswelt?“ beschäftigt mich natürlich sehr. Und ich freue mich, heute mit einem Mann sprechen zu können, der sich, glaube ich, mit dem Thema Zukunft auskennt wie kaum ein zweiter. Ich freue mich, zu Gast zu sein bei Dr. Pero Mićić. Pero, du bist Vorstand und Gründer der Future Management Group und das Thema Zukunft beschäftigt dich schon ganz lange. Kann man die Zukunft voraussehen?

Pero Mićić: Nein, und das will eigentlich auch keiner. Wenn man die Zukunft voraussehen könnte, wäre die Bedingung dafür, dass man nichts mehr daran ändern kann. Keiner. Und dann wäre das Leben praktisch nur noch zu Ende zu leben für alle. Und das will niemand. Deshalb ist es gut, dass man die Zukunft nicht voraussehen kann.

Stefan Dietz: Ziemlich coole Aussage, das kann ich sofort unterschreiben. Sehr gut. Und du legst auch Wert darauf, dass Du kein Zukunftsforscher bist, das Thema ist eher Zukunftsmanagement. Was ist der Unterschied?

Pero Mićić: Was mich immer fasziniert hat, ist, wie Menschen in Unternehmen – und Unternehmen in einem breiteren Sinne, also auch in einer Klinik, in einer Stadt oder in einer Schule – wie Menschen in Organisationen die Zukunft denken und wie sie sie in Strategien verarbeiten. Das hat mich immer fasziniert. Meine zweite Faszination ist, Zukunftsentwicklungen zu sehen, abzusehen, was da so kommen könnte, was bleibt, und was auch verschwindet. Die Kombination ist das, was mich fasziniert. Also diese Brücke aus der Welt der Zukunftsforschung in das praktische Management, in die praktische Führung. Das ist meine Faszination. Was wir machen, ist, dass wir Zukunftsforschungsergebnisse, also von vielen Experten und Halbexperten einkaufen bzw. recherchieren. Wir nutzen das als Rohmaterial, so wie der Schreiner das Holz kauft, um daraus ein Werk zu machen. Und unser Werk ist dann die Strategie des Unternehmens, unseres Klienten.

Stefan Dietz: Sehr spannend. Sehr schön. Ich muss es direkt hier einspielen, weil wir beide uns vor – das dürfte wahrscheinlich fast 30 Jahre her sein – kennengelernt haben. Ich weiß, dass ich damals schon sehr beeindruckt war. Der junge Mann, der da mit mir im gleichen Seminar war, hat in seiner Diplomarbeit das Thema Zukunftsmanagement damals schon als Begriff gehabt. Das hat mich persönlich auch sehr interessiert. Und ich hatte damals auch schon den Eindruck, da brennt jemand total für das Thema. Du scheinst es ja auch weiterhin zu sein, da du dein ganzes bisheriges Berufsleben dem Thema gewidmet hast. Dann lass uns  einsteigen. Jetzt gibt’s da natürlich ganz viele Entwicklungen. Wenn man jetzt schaut: Wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt? Dann hat das natürlich auch viel mit Technologie zu tun. Da werden wir später sicher tiefer einsteigen. Aber die ganz platte erste Frage ist ja die, dass viele Menschen sich fragen: Werden uns Maschinen, künstliche Intelligenz, Roboter die Arbeit wegnehmen? Haben wir in ein paar Jahren gar keine Arbeit mehr oder wird es eher im Gegenteil ganz neue geben? Wenn man da allgemein draufschaut, wenn du trotzdem in die Zukunft schaust, wovon gehst du aus? Werden wir mehr oder weniger oder nur ganz andere Arbeit haben?

Pero Mićić: Das ist natürlich eine sehr große Frage. Ich habe das mal in kleine Thesen zerteilt. Solange Menschen Probleme haben und solange Menschen Wünsche haben, wird uns die Arbeit nicht ausgehen. Es werden stellenweise mal die Arbeitgeber ausgehen, aber uns wird die Arbeit nicht ausgehen. Das heißt, wir müssen grundsätzlich über die Frage nachdenken, was denn Arbeit ist und ob Erwerbsarbeit, wie wir sie heute kennen – die eigentlich erst seit der industriellen Revolution in dieser Masse vorhanden ist – ob das das einzige ist, wie wir Arbeit denken können oder ob es andere Wege gibt, es zu tun, nämlich möglicherweise Einkommen zu erzielen, ohne dass man direkt dafür arbeitet und das mehr Menschen zu ermöglichen, als das heute der Fall ist. Also die Arbeit wird uns nicht ausgehen.

Werden wir neue Berufe entwickeln? Es gibt da verschiedene Thesen. Die einen sagen die Hälfte, die anderen sagen, zwei Drittel der heutigen Schüler werden in Berufen arbeiten, die wir heute noch nicht kennen oder so noch nicht kennen. These drei: Das, was Menschen brauchen und kaufen, ändert sich nicht. Also wir wollen Musik genießen und haben uns vor 30 Jahren, als wir uns kennengelernt haben, gerade über die CDs gefreut und die MC’s langsam weggeräumt und die Vinylplatten. Dann gab’s zwischendurch die MP3. Dann haben wir uns gefreut, dass wir 1 000 Songs in der Tasche hatten als MP3 und dann irgendwann 10.000. Und jetzt mieten wir uns die Musik zum Hören. Also wir abonnieren einen Streaming-Service. Das, was wir aber kaufen, nämlich Musikgenuss, bleibt exakt gleich. Wir kaufen uns Autos, damit wir von A nach B kommen, aber auch um uns darüber irgendwie auszudrücken. Wer Dacia fährt, der macht nur A nach B Transport. Das Auto hat ganz bewusst keinen Image-Anspruch. Es ist aber schön, gut designt, funktioniert. Man zahlt genau das, was man braucht, um von A nach B zu kommen. Und jeder, der keinen Dacia fährt, zahlt für etwas anderes. Also die Wirkungen sind konstant und wenn wir nach etwas suchen, was in dieser zukünftigen Wirtschaftswelt konstant ist, dann nenne ich das die emotionale Wirkung, die man kauft.

Werden uns Maschinen die Arbeit wegnehmen? Ich formuliere das mal positiver. Wir werden mehr Aufgaben an Maschinen, an intelligente Maschinen – also das ist immer mehr Software als Hardware – delegieren können, von ihr erledigen lassen können. Darüber wird es ganz viele Funktionen in einzelnen Berufen geben. Also wenn ich sage, ein Job besteht aus ganz vielen Funktionen, dann werden einzelne Funktionen davon entweder entlastet oder deutlich produktiver gemacht. Und so ändern sich natürlich schon die Jobs. Und wenn man das in der Summe betrachtet, dann gibt es von dem einen oder anderen Job weniger Arbeitsplätze klassischer Art, weil weniger Menschen mehr erreichen können. Produktivität steigt und wenn Produktivität steigt, steigt normalerweise der Wohlstand.

Stefan Dietz: Und wenn er dann richtig verteilt ist, sind ja eigentlich alle auch wieder versorgt.

Pero Mićić: Genau. Und werden wir überhaupt noch gebraucht werden? Ja, noch ganz lange. Die ganze Entwicklung hin zu künstlicher Intelligenz, läuft eigentlich auch schon seit fast 70 Jahren. Und jetzt erst verstehen wir, begreifen wir, was geht und was möglich ist. Wir werden diese Entwicklung hin zu künstlicher Intelligenz und Robotik eher langfristig gesehen begrüßen. Heute ist es uns unheimlich. Ganz viele Menschen haben Angst davor. Das ist normal, das war schon immer so. Wir kennen die Beispiele aus früheren Zeiten, wo wir uns gefürchtet haben vor dem Zug, der schneller als vierzig Stundenkilometer fährt.

Stefan Dietz: Genau. Aber das ist ja tatsächlich das, was ich so beobachte. Es gibt einen Teil der Menschen, die sehr offen sind für einen technologischen Wandel und das auch sehr offen angeben, möglicherweise in anderen Ecken der Welt, auch offensiver, als wir das in Deutschland tun. Und es gibt unglaublich viele Bedenken und ein Sich-nicht-wirklich-damit-auseinandersetzen. Ich bin kürzlich auf eine interessante Kurve gestoßen, die wirklich zeigt; Früher hat man lange warten müssen, bis eine Technologie etwas kann, was lange versprochen war und inzwischen ist es so, dass die Technologie so viel schneller ist, dass wir Menschen nicht mehr hinterher kommen. Ist das eine Beobachtung, die du teilst?

Pero Mićić: Beides stimmt. Die Technologien – gerade zumindest die digitalen Technologien – entwickeln sich deutlich schneller als früher und heute ist fast alles digital. Also ob ich nun die Energieerzeugung mit Photovoltaik nehme, Genomsequenzierung, das ist alles digitalisiert, weil es mit digitalen Werkzeugen schneller gemacht wird. Und das wächst exponentiell in der Leistungsfähigkeit, nimmt drastisch viel schneller zu, als wir das jemals lernen könnten. Und wir sind schlicht lineare Wesen. An uns ist so gut wie nichts exponentiell, außer wenn wir mal eine Viruserkrankung haben. Aber das ist nicht das, was unser Leben bestimmt. Wir denken linear und wir entwickeln uns linear. Und Evolution ist so langsam, dass sie praktisch keine Rolle spielt für unsere Fähigkeit da mitzukommen. Das heißt, wir werden wieder selbst Werkzeuge nutzen wollen und müssen, um mit diesem Wandel mitzukommen. Also: Ja, es geht schneller, als wir das können. Und deshalb verspüren wir ja diese Herausforderung. Deshalb ist ja Digitalisierung, obwohl seit Jahrzehnten eben in der Entwicklung, jetzt in den letzten Jahren so ein großes Thema geworden. Jetzt sind plötzlich alle aufgeschreckt, weil alles das, was man uns früher versprochen hat, jetzt funktioniert.

Stefan Dietz: Wenn wir da mal konkreter reinschauen. Was sind aus deiner Sicht die wichtigsten Trends und Entwicklungen in der Technologie mit den größten Auswirkungen auf die Arbeitswelt?

Pero Mićić: Ich habe zwei Thesen, die eigentlich das meiste erklären. Alles, was der Mensch kognitiv kann, kann die künstliche Intelligenz heute schon oder bald besser. Und wenn ich sage „Künstliche Intelligenz“, dann meine ich alle 12 Unterdisziplinen davon. Also immer dann, wenn es darum geht, menschliche kognitive Fähigkeit nachzubilden und auch dann zu übertreffen. Also alles, was der Mensch kognitiv kann.

Zweite These: Alles was der Mensch physisch kann, kann der Roboter heute schon oder bald besser. Und damit haben wir zwei Hauptgebiete unserer Fähigkeiten, die abgedeckt sind. Die kann man jetzt noch unterteilen. Was kann denn der Mensch kognitiv? Wahrnehmen. Er kann erkennen, er kann lernen. Er oder sie kann wissen weitergeben, beraten, lehren. Kann kommunizieren, kann entscheiden, kann kreieren – und handeln natürlich. Also kognitiv handeln. Und wenn wir das alles zusammennehmen, dann haben wir praktisch das gesamte Spektrum der menschlichen Fähigkeiten abgedeckt. Und überall wirkt KI im weiteren Sinne.

Stefan Dietz: Wenn ich da jetzt mit dir gehe – und ich kann es gut nachvollziehen – hast du ja ganz, ganz viele heutige Jobs, die dann im Grunde eine Existenzberechtigung verlieren. Also wir haben schon mal gesprochen über LKW-Fahrer bei wirklich autonomen Nutzfahrzeugen. Wenn das gesetzlich entsprechend geregelt ist, fallen da unglaublich viele Jobs weg oder sie müssen was ganz anderes machen, während sie sich von A nach B bewegen. Mich beschäftigt immer wieder auch das Verwaltungshandeln, wo ganz viele im Prinzip zwar intellektuell mit einem gewissen Anspruch versehene, aber letztlich auch automatisierbare Tätigkeiten da sind. Wo man sagen könnte: Das kann alles irgendwann komplett automatisiert sein und kein Mensch muss mehr irgendwelche Papiere, Belege, geregelte Abläufe bewerten und beurteilen. Und dann kriegen viele Menschen glaube ich, durchaus eine gewisse Panik, weil das, was sie heute im Arbeitsleben tun, irgendwann schlichtweg nicht mehr notwendig sein wird.

Pero Mićić: Für diese Berufe stimmt das. Also es gibt eine Entwicklung hin zum autonomen Fahrzeug, Level 5: Ohne Lenkrad und ohne Pedale. Das gilt auch für den LKW. Das ist eigentlich nur eine Frage des Zeithorizonts. Also wenn man nicht in Frage stellt, dass das überhaupt funktioniert – was ich nicht tue, weil ich glaube zu wissen, dass es funktioniert – dann ist es nur die Frage, ob wir in 15 oder 20 Jahren die beispielsweise in den USA arbeitenden 3 Millionen LKW-Fahrer noch haben werden oder nicht. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern das entwickelt sich nach und nach.

Und es gibt bei allem, was wir besprechen, zwei große G´s als Faktoren, die das Ganze verlangsamen. Das eine G ist Gewohnheit und das zweite G sind Gesetze. Die Gewohnheiten sind im Prinzip die Grundlage für unsere Gesetze. Also wir gießen unsere Gewohnheiten in Rechtsnormen und versuchen festzuhalten, wie es war und zu regeln und zu regulieren. Und da sind wir tatsächlich – das ist keine Geschichte – in Deutschland, in Mitteleuropa, in Frankreich nicht viel anders, immer sehr ängstlich und sehr vorsichtig. Und immer muss alles so bleiben, wie es ist. Das wir diesen Prozess langsam machen. Also um ein Beispiel zu nennen: Ein Tesla kann in den USA über 60 Meter über den Parkplatz heute schon herbeigerufen werden. Das nennt sich Smart Summon. Also ich habe mein Handy in der Hand, mein Auto steht irgendwo auf dem Parkplatz, es regnet und ich rufe das Auto zu mir und es sucht sich den Weg und beachtet Hindernisse, beachtet Fußgänger, andere Autos und stellt sich vor mich. Macht im Zweifelsfall noch die Tür auf. In Deutschland und der EU muss ich höchstens sechs Meter von diesem Fahrzeug entfernt sein, sodass das Ganze witzlos ist. Dann kann ich auch hingehen. Eine Einschränkung gegenüber den USA, eigentlich gegenüber praktisch der ganzen anderen Welt. Auch in China sind sie ja etwas progressiver. Zweite Einschränkung: Der Grad, eine Kurve ist in der EU eingeschränkt, den ein Tesla autonom heute fahren kann. Und diese Haltung werden wir wahrscheinlich nicht so schnell ändern. Es muss immer alles ganz vorsichtig sein.

Stefan Dietz: Aber es ist keine technologische Begrenzung, sondern es ist eine gesetzliche Begrenzung. Im Grunde ist die Technologie schon da, die ist im Grunde schon eingebaut, nur nicht freigeschaltet.

Pero Mićić: Ja, bevor es eine gesetzliche Begrenzung ist, ist es eine Begrenzung der Gewohnheiten. Und die wiederum sind ein Ausdruck eines kulturellen kollektiven Bewusstseins oder einer Art von Überzeugung, dass Technologie Folgen hat – das Wort Technologie-Folgenabschätzung ist ja nicht umsonst ein deutsches.

Stefan Dietz: Das gibt’s möglicherweise auch nicht in allen anderen Sprachen. Also wenn wir nochmal auf einer grundsätzlichen Ebene bleiben. Ich persönlich weiß, dass mich schon vor ganz vielen Jahren diese Vision fasziniert hat: Wenn wir irgendwann so weit sind, dass alles das, was wir zum Leben brauchen, produziert werden kann in letztlich vollautomatisierten Prozessen. Dann wäre das ja eine wunderschöne Vision für die Menschheit, wenn es gelingt, dass jeder an dem erzeugten Wohlstand auch in einer fairen Weise partizipiert, dann muss man nicht mehr arbeiten und ist versorgt und hat im Prinzip seine Zeit wirklich frei zum Leben. Also wäre ja eigentlich eine großartige Vision und das, was wir gerade besprochen haben, zeigt ja, dass wahrscheinlich ganz, ganz viele Tätigkeiten, die notwendig sind, um so die Welt am Laufen zu halten, um Güter zu produzieren, um das normale Leben zu organisieren, eigentlich automatisierbar wären.

Gibt es Dinge, wo du sagst, die sind letztlich nicht technologisch leistbar, die werden immer auch Menschen brauchen? Von den Berufen, die heute da sind. Und zweite Frage: Wo entstehen dann auch neue Dinge? Das ist natürlich glaube ich nochmal spannender als immer auf dieser Panik-Seite zu sehen: Dass was ihr heute macht, ist in 5 Jahren obsolet.

Pero Mićić: Auch wieder eine große Frage. Was bleibt dem Menschen? Es bleiben dem Menschen alle Aufgaben, die – und jetzt mal grundsätzlich gesprochen – soziale Interaktion erfordern. Mit Menschen natürlich. Also die direkte Schnittstelle zum Menschen sind. Jede Form von Beratung, jede Form von Coaching, jede Form von Therapie, Unterstützung, usw. Die zusätzlich in einem komplexen Feld sind. Komplex heißt, da gibt’s Überraschungen. Ich kann nicht genau den Prozess bestimmen, wie es läuft, sondern es gibt ganz viele komplexe Dinge, die da passieren können. Und zusammen ist es dann auch etwas anderes als ein autonomes Fahrzeug. Das ist auch komplex, aber es erfordert nicht so sehr emotionale Berücksichtigung oder die Berücksichtigung der Emotionen anderer. Also soziale Interaktion, komplexes Arbeitsfeld. Das ist dann wiederum eine Moderation eines Events im Gespräch mit einem Menschen über seine/ ihre Präferenzen, Hintergründe, Probleme usw.

Dritte Voraussetzung: für die es eine relativ lange oder intensive Ausbildung braucht. Und vierte Voraussetzung: die Menschen erfordern, die in der Lage sind, IT-Werkzeuge professionell einzusetzen. Diese vier Voraussetzungen: Professioneller Einsatz von IT-Werkzeugen, einigermaßen lange Ausbildung – das ist nicht die Länge, sondern eben die Komplexität, die Erfahrungen, die man aufbauen muss – die Komplexität des Arbeitsfeldes  und die soziale Interaktion mit Menschen natürlich. Die bleiben, die das haben. Die fallen weg, die das nicht haben. Ja, wer sagt das denn, dass die wegfallen? Wir können die ja auch einfach behalten. Es zwingt uns ja niemand dazu.

Stefan Dietz: Da kämen wir wieder zu diesen Verlangsamungsprozessen, die sicherlich auch laufen, die werden sicher manche Dinge deutlich länger erhalten als sie nötig wären. Aber trotzdem es ist ja eine Frage der Zeit, bis sich das durchsetzt.

Pero Mićić: Richtig. Und dann ist die Frage: Was kommen für Berufe? Also im Prinzip ganz viele Bindestrich-Funktionen. Wenn man fragt, was muss man denn heute lernen? Was muss man denn heute studieren? Dann wäre meine primäre Empfehlung: Lerne, ein exzellenter Mensch zu werden. Warum? Weil die Maschine niemals ein Mensch werden wird, zumindest nicht in unserem Betrachtungshorizont. Ich sag jetzt nicht, dass es in 100 oder 200 Jahren nicht so perfekt nachgebildet ist, dass wir das kaum noch unterscheiden können. Dann haben wir eben den Data von Star Trek und zwar mit gesunder Hautfarbe. Lerne ein exzellenter Mensch zu sein, weil dann bist du praktisch gegen die Maschine stark und auch nicht substituierbar. Wir sprechen jetzt nur mal im wirtschaftlichen Zusammenhang. Natürlich gibt es für alles ethische Grenzen. Natürlich gibt es für alles Grenzen darin, welchen Wert ein Mensch hat – außerhalb seiner Arbeitsleistung. Das ist ja gerade diese neue Frage, die wir uns stellen müssen und Antworten finden müssen, was Arbeit ist. Lerne exzellent als Mensch zu sein, das heißt, lerne dich selbst zu führen. Wir alle kennen das, wir machen uns immer nur gute Vorsätze fürs neue Jahr. Wir erreichen sie aber größtenteils nicht. Wir entwickeln gute Visionen, gute Strategien, wir wissen eigentlich, was richtig wäre im Sinne der Nachhaltigkeit, also sowohl ökologisch, ökonomisch wie auch sozial. Und trotzdem handeln wir anders. Wir verschulden uns ohne Ende. Wir überfischen die Meere. Wir handeln nicht so, wie wir eigentlich logisch handeln müssten.

Also lernen, ein exzellenter Mensch zu sein, sowohl emotional als auch rational. Und sorge dafür, dass du technische Kompetenz hast. Und dabei ist es egal, was für eine. Es muss nicht immer IT sein. Also ob das jetzt nun Bioinformatik ist oder ob das eine Ausbildung im Building Information Modeling ist, also diese neue Art Gebäude zu planen, das ist dann gleich. Sorge dafür, dass du technisches Verständnis hast – das ist natürlich IT-geprägt – und finde dich damit ab, dass das, was du darüber weißt, in wenigen Jahren schon vollkommen obsolet ist.

Stefan Dietz: Also es geht so in verschiedene Richtungen. Ich muss da nochmal einhaken, weil dein Aspekt „werde ein exzellenter Mensch“ das ist ja nun etwas sehr Persönliches auf der einen Seite. Auf der anderen Seite nehme ich aber auch den Trend wahr, dass Technologie und Software uns auch steuert und auch Verhalten trainiert. Es gibt Entwicklungen, dass soziale Medien durchaus sehr, sehr weitgehend schon voraussagen können: Was tue ich möglicherweise als nächstes? Bis hin zum Stichwort Soziales Management und Bewertungssystem, was ja dann letzten Endes eine Systematik schafft, die möglicherweise menschliches Verhalten viel besser steuern kann, als wir es selber tun – was ethisch sicher höchst fragwürdig ist. Aber was tun wir heute nicht schon alles, um irgendwo Punkte zu sammeln? Und wenn man das, was dann in China als Sozial-Managementsystem läuft, sich betrachtet, stelle ich mir schon die Frage: Werden wir als Menschen auf einer ganz langfristigen Sicht wirklich selbstgesteuert agieren? Oder werden wir nach einem irgendwie entwickelten Algorithmus alle versuchen, richtig schön nach System zu funktionieren und bestmögliche Punktzahl zu kriegen?

Pero Mićić: Dann haben wir großen Fehler gemacht, wenn wir das zulassen. Also es gibt da einen Grad, den wir nicht überschreiten sollten. Das eine ist, es ist schon so, dass es einer Gesellschaft helfen würde, wenn wir uns gemeinsam darauf einigen, dass wir uns alle selbst zu manchen Dingen zwingen. Das haben wir gemacht, indem wir eine Anschnallpflicht eingeführt haben. Mittlerweile regt sich darüber niemand mehr auf. Alle machen es. Man ist täglich in seiner Freiheit eingeschränkt, weil man sich anschnallen muss und muss sogar Strafen zahlen, wenn man das nicht tut. Und kriegt Punkte.

Stefan Dietz: Falschrum Punkte.

Pero Mićić: Ja genau. Und alle machen es. Warum hat man das gemacht? Weil ganz eindeutig – heute zumindest ganz eindeutig – eingesehen wird: Es ist schlicht besser, es rettet Leben und damit belastet es eben auch nicht für Krankheitskosten usw. bzw. Unfallkosten, die gesellschaftliche Kasse. Als das aber versucht wurde, gab es unzählige Debatten darüber, ob man den Menschen in seiner Freiheit beschneiden kann und so weiter. Zweites Beispiel. Wir haben jetzt in Deutschland gerade wieder entschieden, dass wir die Menschen anbetteln, Organspender zu werden. Immer wieder werden sie gefragt und man muss das alles organisieren. Einen Riesenaufwand treiben. Und die Argumente, die ich da immer höre, sind beispielsweise: Das hat ethische Gründe. Man kann den Menschen nicht zwingen. Das hat religiöse Gründe, möglicherweise. Das beschneidet die Freiheit des Menschen usw. Und dann frage ich zurück: Das ist schon richtig. Es gibt ja Länder, die haben das andersherum gemacht. Das ist schon richtig. Das sind Länder, die sind anders. Da sind die Menschen anders drauf. Die sehen anders aus. Die hören andere Musik, die sprechen ganz anders. Österreich zum Beispiel. Die haben das so gemacht, dass sie den Standard umgekehrt haben. Also man ist ab Geburt Organspender. Und wenn man hier Organspender werden will, muss man sich ja so einen Ausweis runterladen, ausfüllen, ins Portemonnaie tun. Dazu sind ganz viele Menschen irgendwie nicht fähig. Sie sagen zu 80 Prozent „Wir wollen Organspender sein.“ Weniger als 40 Prozent haben tatsächlich einen Ausweis. Was muss man in Österreich tun, um Nicht-Organspender zu sein? Sich etwas runterladen, ausfüllen bzw. sich einfach registrieren lassen in der Datenbank. Erstmal sind in Österreich fast 98 Prozent der Menschen Organspender. Da gibt’s noch so eine Widerspruchslösung der Verwandten. Und es sind 90 Prozent im Effekt. Tausende Menschen leiden weniger, tausende Menschen sterben weniger und trotzdem wollen wir das nicht so. Das gehört zu dem Beispiel, wo ich glaube, dass wir uns alle kollektiv zu vernünftigerem Verhalten zwingen sollten, weil der Mensch eben so nicht ist. Wenn wir aber zulassen, dass wir an ein höheres maschinelles Wesen unsere Freiheit delegieren, dann haben wir einen ganz dicken Fehler gemacht.

Stefan Dietz: Das ist jetzt natürlich eine sehr philosophische Ebene, aber ich finde, die ist auch enorm wichtig, wenn man die Diskussion so verfolgt. Meine Wahrnehmung ist, dass viele Menschen, die über Themen wie Digitalisierung und diese Veränderungsprozesse diskutieren, auf einer Ebene eines rückwärtsgewandten Verteidigens sind. Schimpfen auf Dinge, dass die Jugendlichen heute alle mit Smartphones unterwegs sind. Das sind so Diskussionen, die mir zeigen, die Leute haben sich überhaupt nicht damit auseinandergesetzt, was da eigentlich passiert. Also eigentlich überhaupt nicht relevante Fragen. Die großen relevanten Fragen: Wie sichern wir unsere Freiheit? Wie sichert man, dass durch die Inhaber von technologischem Know-how am Ende kein Machtmissbrauch entsteht? Ist das wirklich so eine gesellschaftliche Stärke, die in der Lage ist, das freie Spiel der Kräfte in der Wirtschaft zu steuern? Dass man da zu Lösungen kommt, die dauerhaft wirklich eine menschliche Freiheit gewährleisten, das ist glaube ich etwas, was mich persönlich – wenn ich ein positives Bild habe, wie das gelingen kann, mit voller Energie – im Grunde pro Wandel und pro Fortschritt Dinge vorantreiben lässt. Wenn man das Gefühl hat, wir laufen da sehenden Auges in eine Situation, die am Ende von einem Konzern abhängt, der Dinge steuern kann, der nicht legitimiert ist, der nicht kontrolliert werden kann, dann darf man einfach nicht immer weiter da reingehen. Und das ist für mich so die Frage: Hast du eine Vision oder Gründe zu glauben, dass wir das als Menschheit schaffen?

Pero Mićić: Zumindest eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür zu sehen, ja. Was mich da zuversichtlich macht: Immer wenn wir solche Probleme empfinden – und das sind ja große Probleme oder Herausforderungen, Stress, Angst, Furcht – dann ist das für jemanden eine Grundlage für ein neues Produkt, für eine neue Lösung, für eine Möglichkeit, uns diese Angst zu nehmen oder sie zu reduzieren. Wir haben nach 500 Jahren mit doppelter Buchführung jetzt eine neue Art von Buchführung. Die nennt man distributed letters – diese verteilten Konten-Bücher, bekannt als Blockchains. Und damit könnten wir sicherstellen, dass beispielsweise meine Gesundheitsdaten nur von mir betreut werden und nur für mich zugänglich sind. Ich kann meinem Pneumologen meine Daten über meine Lunge freigeben für eine Woche, meinem Hals-Nasen-Ohrenarzt kann ich die Daten freigeben für die Dauer des Besuchs. Meiner Hausärztin kann ich die Daten dauerhaft freigeben und kann es auch alles wieder wegnehmen. Dazu muss ich fähig sein, sowas zu machen.

Es wird den Menschen ja immer leichter gemacht, Technik zu nutzen. Also Spracheingabe, Sprachverständnis schon Windows und Mac OS sind deutlich leichter als DOS früher. Auch wenn viel darauf geschimpft wird. Das heißt die Technik wird immer menschlicher, wenn man so will, weil sie mehr kann was der Mensch kann. Und der Mensch wird immer technischer und das zusammen macht es der Welt leichter und macht es uns leichter damit umzugehen. Setzt aber voraus, dass man eine positive Vorstellung davon hat. Also wir kennen das ja aus unserer Arbeit. Wenn man Menschen beobachtet, man konfrontiert sie, lädt sie ein – positiv gesprochen – zu einer neuen Strategie zu einer neuen Vision. Dann sehen wir, dass Menschen Veränderungen hassen. Wir sehen, dass Menschen sogar Innovation hassen. Und jetzt muss man das ein bisschen präziser sagen. Sie hassen Innovation, wenn die Idee von jemand anderem kommt. Wenn es aber die eigene Idee ist, dann liebt man Innovation. Dann treibt man das gerne voran und ist total begeistert. Aber wenn es die Idee von einem anderen ist, dann ist es Change. Und da muss man angereizt werden. Und dann muss man gelockt werden und Koalitionen der Willigen bilden. Und so weiter und so fort. Das, was der eigentliche Faktor ist, der fehlt, ist die Vorstellungskraft und auch die Lust des normalen Menschen, das Leben darüber und mit solchen Werkzeugen zu verbessern. Die Haltung ist eher: Ich habe mich jetzt gewöhnt an meine Arbeit. Ich bin bereit, mit einem ganz langsamen Weiterentwickeln dieser Prozesse mich zurechtzufinden. Ich mache diese Arbeit ja doch überwiegend auch nur, damit ich Geld habe, um zu leben. Und in dieser Haltung ist es vollkommen nachvollziehbar und selbstverständlich, dass man überhaupt keine Lust hat auf Digitalisierung und überhaupt gar keine Lust hat auf künstliche Intelligenz und auf Steuerung am Ende noch durch andere. Ich hatte einen Mitarbeiter, da war nur vereinbart, dass wir in einem Aufgaben-Managementsystem, in einem agilen Aufgaben-Managementsystem arbeiten. Und wenn sich da eine Aufgabe verändert, kriegt er eine E-Mail. Alles haben nur Menschen gemacht. Es war nur eine Information. Für den war die Vorstellung: Oh Gott, da steuert mich eine Maschine, ich will es nicht. Das ist, wenn man so will, der Engpass bei der ganzen Entwicklung.

Stefan Dietz: Also wenn es gelingt, dass da ein positives Bild mit einhergeht, dann kriegt man ja auch eine Veränderung hin. Da gucken wir sicherlich später nochmal rein. Was ich gerne nochmal mit dir beleuchten würde, wenn wir es nochmal eine Ecke weiter ins Konkretere ziehen, in wichtige Arbeitsbereiche. Dass Du vielleicht nochmal skizziert, was sich da aus deiner Sicht in den üblichen Arbeitsfeldern ändern würde. Da redet man natürlich viel über Industrie 4.0 in der Produktion. Und wenn wir jetzt zum Beispiel mal in den Bankenbereich, in den Finanzbereich reingehen, der immer noch ein sehr großer Bereich ist, wo ich noch so in Erinnerung hab, dass viele Menschen sagen (ich befürchte, dass das heute immer noch Eltern ihren Kindern sagen): Mach was im Bankenbereich, da hast du einen sicheren Job. Was ja längst nicht mehr so ist. Wenn man da mal reinschaut, kannst du da jeweils so ein paar Impulse geben, was du glaubst, wie sich das verändern wird. Wie wird sich auch die Menge an Jobs, die es da gibt, verändern? Wenn man so in den Finanzbereich guckt, habe ich manchmal den Eindruck, da wird ganz, ganz vieles über moderne Fintechs organisiert und ganz viele der Menschen, die heute in Banken beschäftigt sind, werden den Job einfach verlieren, weil man den nicht mehr braucht.

Pero Mićić: Das ist so. Wenn man sich Banken und Versicherungen anschaut als ähnliche Organisationen, dann ist der weitaus größte Teil der Menschen dort beschäftigt und bezahlt für Arbeiten, die eine künstliche Intelligenz im Allgemeinen gesprochen, zusammen mit beispielsweise Blockchain-Technologie, drastisch viel schneller und drastisch viel weniger fehlerunanfällig machen kann. Diese Massenverwaltungs-Jobs, um die würde ich mir am meisten Sorgen machen. Das, was von einer Bank bleibt, ist, bezeichnenderweise das, was früher einmal eine Bank im Überwiegenden war – nämlich persönliches Gespräch, persönliche Betreuung. Diese Nahtstelle bleibt und ein Teil dieser administrativen Prozesse. Die müssen natürlich betreut werden, müssen eingeschaltet werden, ausgeschaltet werden, optimiert werden. Da werden schon noch Menschen arbeiten. Aber die Vertragsprüfung beispielsweise, da gibt es eine Versicherung in den USA, die hat, wenn ich mich recht entsinne, 300 000 Arbeitsstunden ersetzt durch ein System, das für diese gleiche Arbeit wenige Minuten braucht. Und wenn das geht, wird man das tun. Es sei denn, wir schränken das gesetzlich ein, was sicherlich uns nicht gut tun wird – langfristig gesehen. Aber ein großer Teil dieser Wertschöpfung, die heute als Wertschöpfung gesehen wird, ist nicht wirklich Wertschöpfung, weil sie keinen Wert addiert, weil es Maschinen besser machen können. Und um die würde ich mir am meisten Sorgen machen, weil wir die Menschen dort zu Fertigkeiten ausgebildet hat, die man dann nicht mehr braucht – also auch in anderen Branchen nicht.

Stefan Dietz: Ganz nah da dran ist das Thema Verwaltung. Das System, das du gerade beschrieben hast zu Daten, das erinnert mich sehr an das, was ich in Estland kennengelernt habe, dass quasi der Staat ein Daten-System entwickelt hat, mit dem jeder mit seinem eigenen Smartphone einstellen kann und sehen kann: Wer kann auf meine Daten zugreifen? Da ist die Verwaltung digital, schon jahrelang. Man wählt digital.

Pero Mićić: Man heiratet digital.

Stefan Dietz: Da muss man glaube ich sogar noch aufs Amt. Also ich glaube beim Heiraten, beim Grundstück kaufen muss man aufs Amt, aber man kann ja sogar eine virtuelle Staatsbürgerschaft annehmen. Oder wir könnten jetzt zusammen eine Firma gründen und wären morgen in Estland handlungsfähig. Ich war sehr, sehr beeindruckt und begeistert und gleichzeitig bin ich immer wieder schockiert. In Deutschland ist man dann schon stolz, wenn man ein Formular online runterladen kann, kann es ausdrucken und wieder hinschicken. Also ich sehe da einfach Welten dazwischen und dieses ganze Thema Verwaltungs-Jobs, wenn die nicht institutionell und gesetzlich geschützt wären, wären das doch auch Bereiche, die zu ganz großen Anteilen komplett automatisiert würden und verschwinden könnten.

Pero Mićić: Also die hab ich jetzt inkludiert in meine Geschichte vorhin. Das ist das Gleiche. Also wer sich ein bisschen umhört, hat den Begriff der dunklen Fabrik schon mal gehört. Die dunkle Fabrik. Warum ist die Fabrik dunkel? Weil die Roboter kein Licht brauchen. Und wir müssen uns nach und nach an das dunkle Büro gewöhnen. Warum ist das Büro dunkel? Weil die KI kein Licht braucht. Es gibt einen Begriff, den man in den USA im Silicon Valley geprägt hat. Decentralized Autonomous Organization, die dezentralisierte autonome Organisation DAU. Und das ist im Prinzip ein Unternehmen, das Menschen nicht braucht. Im Prinzip gar nicht. In unseren Rechtssystemen werden wir das weiter so machen, dass wir jemanden haben, der verantwortlich ist, dem das Ding gehört oder denen das Ding gehört. Idealerweise könnten sich ja die 500 Mitarbeiter einer solchen Organisation, die heute da sind, könnten ja die Vision entwickeln: Wir bauen jetzt dieses Unternehmen so, dass es uns allen gehört. Und wir automatisieren so, dass wir am Tage jeder noch so im Durchschnitt eine halbe Stunde nachgucken müssen. Ansonsten verdienen wir das Gleiche. Wenn wir vorpreschen, sind wir sogar Marktführer. Dann verdienen wir mehr als die anderen und können uns 23,5 Stunden am Tag um unsere privaten Dinge kümmern. Das wäre eine tolle Vision. Macht natürlich keiner, weil a) die Eigentümerschaft so schwer zu organisieren ist, wenn man nicht geradezu zusammen gründet – das wird der Weg sein, den viele gehen – und weil man b) die Lust nicht darauf hat, sich so zu entwickeln in der Masse der Zeitgenossen.

Stefan Dietz: Auch ein ganz spannender Punkt zur Arbeitsorganisation, weil es für mich genau eine These ist: Wenn wir diesen scheinbaren Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit – der ja auch gesetzlich im Grunde stark in unserem System verankert ist – auflöst, und man zu genau solchen Modellen kommt, dass viele Menschen Miteigentümer an dem wertschöpfenden Organismus Unternehmen sind, dann verliert das alles ja seinen Schrecken. Dann sind nicht viele plötzlich arbeitslos, sondern sind arbeitslos im Sinne von wohlhabend und müssen gar nicht arbeiten und gewinnen unglaublich viel Freiheit. Siehst du denn solche Ansätze schon, dass sich da auch Innovationen entwickeln in der Form, wie man Eigentum an Unternehmen anders organisiert?

Pero Mićić: Es gibt solche Ansätze, das sind überwiegend kleine Unternehmen. Noch. Wir können uns ja mal einen Zeitsprung gönnen in die Zukunft. Es könnte eine Welt geben, in der, wenn wir mal die Volkswirtschaft nehmen – eigentlich darf man gar nicht mit Volkswirtschaft denken, aber stellen wir es uns vor aus Vereinfachungsgründen – alle Deutschen beteiligt sind an den Unternehmen, in denen sie arbeiten und an anderen Unternehmen. Könnte man leicht über einen Aktienmarkt organisieren.

Stefan Dietz: Geht eigentlich ja heute schon, traut sich nur keiner ran.

Pero Mićić: Genau. Dann könnte es in diesem Land ja auch die Vorstellung geben, dass die Antwort auf die Frage: Wer generiert denn eigentlich Werte? Dass man da ausschließlich bei den Unternehmen landet, weil die Behörden generieren nicht Werte, es sei denn, sie arbeiten wie Unternehmen. Der Staat generiert nicht Werte, es sei denn, er wird dafür bezahlt, dass er manche Dienste leistet. Und das ist natürlich auch politische Führung. Es sind also immer private und oder öffentliche Unternehmen. Und dass sind praktisch – man könnte im Englischen sagen – The Engines of prosperity – die Maschinen, die Generatoren des Wohlstands. Und wenn wir dann die Angst eliminieren könnten: „Oh Gott, am Aktienmarkt geht es hoch und runter“. Selbstverständlich. Das tut es aber auch für den norwegischen Staatsfonds. Das ist ein reiches Land. Nicht nur deshalb, weil sie Öl haben und davon profitieren, sondern das ist ein reiches Land auch deshalb, weil sie die Altersvorsorge, die Zukunftsvorsorge ihrer Bürger sehr konservativ, sehr weise in Unternehmen investieren, nämlich in Aktien. Was haben wir hier gemacht? Wir haben das Ganze gebaut auf ein Geldsystem. 1957 haben wir auch abgeschafft, dass jeder für sich spart und dann tatsächlich einen Kapitalstock hat. Wir haben dieses „von-der-Hand-in-den-Mund-System“ dann eingeführt, unter der Annahme, dass die Menschen immer Kinder kriegen und haben das im Prinzip ruiniert. Also es ist nicht so, dass es eine ferne Utopie ist. In Norwegen beispielsweise entwickelt sich davon schon ein bisschen was. Und wenn wir glauben, wir sind so innovativ und so gut, dann müssten wir das tun, was in Norwegen getan wird in der Altersvorsorge. Wir müssten das tun, was in Estland gemacht wird, in der Digitalisierung. Die Dinge sind ja da. Wir können praktisch Zeitreisen machen, wenn wir nach Estland reisen. Wir machen eine Zeitreise, wenn wir nach Norwegen reisen. Alles sind zukünftige Konzepte. Und den Menschen da geht’s ja nicht schlecht. Denen geht es ja gut.

Stefan Dietz: Und es ist ja damit schon auf einem relativ großen Niveau gezeigt, dass es möglich ist. Das ist ja das, finde ich, auch immer wieder Spannende. Wo man gerade beim Reisen unglaublich viele Dinge erlebt und spürt: Das ist jetzt keine Utopie von jemandem, der mal ein bisschen geforscht hat, sondern das ist ja wirklich vor 30 Jahren eingefädelt worden in weiser Voraussicht. Jetzt ist etwas schon zu sehen und es wird demonstriert, dass es geht.

Pero Mićić: Richtig. Und wie kann ich da reagieren als Einzelner? Ich kann nun sagen, ich hoffe, dass das in Deutschland sich entwickelt. Also Deutschland immer stellvertretend für alle anderen. Die, die hier ähnlich drauf sind. Ich kann jetzt drauf hoffen und das werde ich wahrscheinlich noch in 30-40 Jahren tun. Irgendwann ist das Leben zu Ende und ich habe gehofft. Ich kann die Initiative ergreifen, kann mich politisch engagieren, darauf hinwirken. Das wäre schon mal besser. Ich kann aber auf jeden Fall in meinem Lebensumfeld die Dinge, die ich wirklich entweder ändern kann oder zumindest beeinflussen kann, darauf hinwirken, dass ich genau das tue. Man kann sehr konservativ in Unternehmen investieren. Man kann sich auch als Person, als Mensch dahin bringen, sich vorzunehmen: Ich möchte, egal wie alt ich bin, auf einen guten Stand kommen, in ICT Technik, in Informations- und Kommunikationstechnik. Und das machen ja manche Leute auch noch mit 70 und 80, die stellen sich jetzt vor: Ich hab jetzt noch nie einen Computer verwendet, jetzt schaffe ich mir einen an und manche schaffen das ja auch. Also dafür ist es ja nie zu spät. Das kann ich für mich alles machen. Ich kann sagen – den Anspruch habe ich an mich – ich möchte mir von niemandem Jungen vormachen lassen wie ICT funktioniert. Ich brauche nicht TikTok, aber ich möchte vorne ganz vorne dran sein. Und zwar in den Fähigkeiten, nicht nur im Wissen.

Stefan Dietz: Ich habe so einen Punkt, wo ich nochmal hinleuchten will und ich komme aber gleich auch nochmal auf dieses Verhaltens-Thema zu sprechen, weil mir das persönlich auch sehr, sehr wichtig ist. Aber was ich nicht versäumen will: Du hast vorhin die Maschine beschrieben, die Wohlstand erzeugt, die wäre dann komplett ohne Menschen. Wir erleben ja auch einen dramatischen Wandel in der Art wie gearbeitet wird. Also gerade Dinge, die irgendwo mit Dienstleistung, mit Information zu tun haben, gehen ja im Grunde komplett orts- und zeitunabhängig. Trotzdem ist es immer noch so, dass ein remote-geführtes Unternehmen in Deutschland immer noch ziemlich außergewöhnlich ist. Obwohl es in anderen Ländern auch schon sehr normal ist. Diese Art, wie wir zusammenarbeiten in Unternehmen – wenn du da mal drauf guckst und da denke ich, müssen wir deutlich weiter als mehr Homeoffice und mehr Remote Arbeit kommen. Wie siehst du das denn? Wie wird in 10 Jahren in 15 Jahren ein Unternehmen organisiert sein? Gibt’s da noch Büros? Was wird sich da verändern?

Pero Mićić: Man muss das mit diesem dunklen Office natürlich relativieren. Das sind dann Arbeiten, die wir dann nicht mehr tun werden. Also in einem wachsenden Maße – das wird auch noch lange dauern. Wie gesagt: Gewohnheiten und Gesetze. Aber all die neuen Aufgaben, die entstehen, all die neuen Berufe, die entstehen. Die Maschinenstürmer Anfang des 19. Jahrhunderts, konnten sich auch nicht vorstellen, welche neuen Berufe es geben wird. Deshalb haben sie sich ja aufgelehnt – und zu Recht aus damaliger Sicht. Und wir können uns die morgigen Berufe so schwer vorstellen. Aber es sind letztlich ja wieder Weiterentwicklungen. Deshalb sage ich: Was der Mensch kauft, bleibt immer das Gleiche. Weiterentwicklungen der heutigen Jobs plus den Faktor mehr Nutzen für den Kunden, Klienten, Mandanten, Patienten. Plus den Faktor mehr Einsatz von Technologie, besserem Einsatz von Technologie. Ich brauche das Selbstverständnis, dass ich in meinem Beruf Profi sein will. Nicht nur ein exzellenter Mensch, eben auch ein exzellenter Profi und exzellente Profis haben sich schon immer der wirksamsten Werkzeuge bedient. Nicht zwingend immer der neuesten, aber der wirksamsten. Und mit dieser Haltung gibt’s natürlich ganz viele neue Berufe. Es ist nicht so, dass wir alle nicht mehr arbeiten. Ein Prinzip ist: Wir sagen die Ideen, die wir heute zu agiler Arbeit haben, die Ideen, die wir heute zu selbstbestimmter Arbeit haben, die sind ja als Ideen soweit, dass wir sie fast nicht mehr hören können. In der Praxis aber sind sie noch viel zu wenig gelebt. Da sind wir noch am Anfang der S-Kurve, der Diffusions-Kurve. Das hat sich noch nicht so wirklich verbreitet. Und in 10-20 Jahren wird sich einiges davon weiter verbreitet haben. Ich glaube nicht, dass alle Prinzipien sich weiter verbreitet haben werden. Es gibt ja einige Extreme – da verdient beispielsweise jeder in der Firma das gleiche, vom Auszubildenden bis zum 25-jährigen Veteran – da würde ich sagen, die werden sich nicht bewähren, das ist glaube ich auch eine falsche Struktur. Was sich aber bewähren wird, ist mehr Selbstverantwortung am Ort des Handelns, also im Kundenkontakt. Sehr wenig Bestimmungen von Prozessen, von Vorgehensweisen, von Modellen, von einer Zentrale, die im Zweifelsfalle immer zu weit entfernt ist von dem Ort des Geschehens. Führung nicht mehr nur so verstanden. Ich bin nicht so radikal zu sagen: Es gibt’s gar nicht mehr, dass jemand als Mensch Führungskraft ist, weil dafür sind wir viel zu sehr aus der Evolution immer noch Primaten, dass wir nicht Führung bräuchten in Form eines Menschen. Aber Führung, die als Funktion von jedem mal wahrgenommen werden kann – in einem Projekt, in einem Workshop, in einem Meeting – das werden wir weiter demokratisieren. Dass wir uns damit abfinden, dass wir im Detail gerade dann, wenn Menschen involviert sind, nicht alles vorplanen können und deshalb agil arbeiten. Das heißt in Sprints. Wir nehmen uns einmal was für ein, zwei, drei, vier Wochen vor, arbeiten das ab und planen dann neu. Das aber geht nicht ohne gemeinsames Zukunftsbild, das das Ganze koordiniert. Und so wird diese Arbeitswelt, von den Begriffen, die heute schon die modernen Begriffe sind, zumindest zum guten Teil geprägt sein. Es wird damit auch ein Stück weit menschlicher.

Stefan Dietz: Kannst du uns nochmal eine Idee geben, wo du sagst, da entstehen tatsächlich Berufsbilder, die vielleicht nicht jeder so auf dem Schirm hat?

Pero Mićić: Ja. Und die klingen alle ganz komisch. Die klingen für unsere heutigen Ohren und Köpfe und Herzen komisch, wie beispielsweise Spezialist für Lebensverlängerung oder Spezialistin für Lebensverlängerung. Das ist und war schon immer ein menschliches Bedürfnis und wir haben immer bessere Werkzeuge und Mittel dazu. Immer mehr Wissen dazu, was Ernährung betrifft. Also natürliche Dinge Ernährung, Bewegung, etc. Aber auch technische Möglichkeiten bis hin zur Kryonik, wo ich mich dann eben einfrieren lasse und hoffe, dass irgendjemand die Lösung dann in 100 Jahren hat. Ein Smartroad-Ingenieur. Wir brauchen eine Verkehrsinfrastruktur, die smarter wird, intelligenter wird. Und jemand, der heute Verkehrsplaner ist, der könnte sich vielleicht später irgendwann Smartroad-Ingenieur nennen. Wir müssen auch solche Berufe nicht mehr denken in Ausbildungsberufen. Also was kann ich lernen? Sondern was steht vielleicht auf dem, was man heute noch eine Visitenkarte nennt? Was ist meine Aufgabe im Unternehmen? Das Berufsbild ist auch ein, wenn man so will, Erfahrungs-Gefängnis, in dem wir da sind. Wenn wir glauben, dass sind dann Berufe, die kann ich dann lernen. Genauso wenig kann ich den Telepolizisten lernen. Oder den Digital-Archäologen.

Stefan Dietz: Was macht ein Digital-Archäologe?

Pero Mićić: Der forscht in der Vergangenheit, indem er Daten analysiert und versucht daraus zu ermitteln: Wie sind Dinge gelaufen? Wie ist damals diese verrückte Trump-Präsidentschaft verlaufen? Wie konnte es dazu kommen? Wie konnte es dazu kommen, dass immer noch zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr 2020 über 40 Prozent der Amerikaner diesen Menschen nochmal wählen würden? Das würde so jemand erforschen.

Stefan Dietz: Das ist genau, was ich mir auch erhofft habe, weil ich ziemlich sicher bin, du hast da Punkte in petto, die jetzt nicht schon jeder auf dem Schirm hat.

Pero Mićić: Genau. Dann wird es so etwas geben wie AR-Trainer oder VR-Trainer, also Virtual Reality-Trainer, Holodeck-Trainer wenn man so will. Es werden ganze Unternehmen sein. Designer künstlicher Intelligenzen als Lehrer wird man brauchen, weil wenn ich eine KI gehabt hätte, die mich ausgebildet hätte, meinetwegen zusätzlich zur Lehrerin, die hätte mir Fragen geduldig beantwortet, hätte mir 200 mal das Video vorgespielt, wie ich ein Polynom vierten Grades dividiere. Wozu auch immer man das braucht, aber ich muss es ja lernen. Ich hätte mir das hundertmal angucken können von einem Star, der mir das erklärt. In nächster Zeit Video, in 20 Jahren ist das dann jemand, der in einem virtuellen Raum vor mir sitzt. In 50 Jahren ist das dann eben ein Hologramm, das vor mir sitzt und mir das ganz geduldig erklärt, ganz viel Verständnis hat, mir auch seit Jahren schon zugehört hat, weiß, wie ich persönlich strukturiert bin, alles gelesen hat, was ich jemals geschrieben habe, wenn ich das erlaubt habe, und mich deshalb so super kennt, dass es permanent und ganz individuell auf mich eingehen kann, dann ist Einzelunterricht die viel, viel bessere Alternative für manche Dinge und dann eben in der Gruppe wieder zusammenkommen.

Stefan Dietz: Noch ein, zwei Berufe. Hast du noch welche?

Pero Mićić: Generell Augmented Reality oder Virtual Reality Architekten und Designer, die wir heute ja schon haben. Drohnen-Disponenten, Reisebüros für Weltraum-Ausflüge bzw. Weltraum-Fahrten, Exoskelett-Designer, Exoskelett-Bauer, Exoskelett-Händler. Digital-Tattoo-Entwickler, Krypto-Währungen-Banker. Du merkst, ich hatte ganz am Anfang gesagt Bindestrich Qualifikationen. Also wir nehmen einfach ein bekanntes Aufgabenfeld, verstärken das durch dein Technologiefeld und schon haben wir im Prinzip Berufe. Da müssen wir nur noch schauen, wo könnte es hingehen.

Stefan Dietz: Es ist ja auch super, weil ich glaube, das ist sehr, sehr, sehr phantasieanregend. Und wenn man davon ausgeht, dass Wertschöpfung passiert und Menschen auch zur Verfügung steht, dann entsteht ja auch eine Kaufkraft und eine Zeit, sich sehr viel mehr mit Themen der persönlichen Exzellenz und der persönlichen Lebensgestaltung zu beschäftigen. Und auch da entstehen ja dann unglaublich viele Jobmöglichkeiten. Also das wird sicher nicht langweilig.

Pero Mićić: Wenn man fragt: Wie komm ich denn auf meinen Beruf der Zukunft oder die Berufe der Zukunft, die in meinem Feld kommen? Wo sind die großen Probleme, wo sind die großen Fragezeichen? Dann werden wir den Autonom-Fahrzeug-Ethiker als Beruf haben, weil wir heute immer noch darüber diskutieren, wie wir die fünf Fälle, die jedes Jahr passieren, dass ein Auto entscheiden muss oder ein Fahrer entscheiden muss, ob er nun zwei Omas oder ein Kind umfährt – da werden wir uns drum kümmern. Interessanterweise sprechen wir überhaupt nicht darüber, dass man 2980 Menschenleben jedes Jahr retten könnte mit autonomen Fahrzeugen. Wir sprechen über die anderen fünf. Das ist das Problem. Dann werden wir uns fragen: Wenn doch irgendwie alles gestaut ist in so einem autonomen Fahrzeug, in so einem Szenario… dann wird es Menschen geben, die man zuschalten kann, die das Auto dann aus dieser Situation herausführen.

Stefan Dietz: Sehr, sehr inspirierend. Da könnten wir immer weitermachen. Du warst jetzt schon bei einem Thema, bei dem ich in jedem Fall auch sehr neugierig bin, wie du das einschätzt. Man kann das Thema Arbeitswelt eigentlich nicht denken, ohne auch in die Schule zu schauen. Und wenn ich so die Erfahrung, die wir auch als Eltern unserer Kinder gemacht haben, meine eigenen Erfahrungen sehe und sehe einfach wie genial lernen funktionieren kann, wenn man über YouTube Channels in Games Dinge lernt, extrem schnell, wenn man wirklich motiviert ist und vergleicht das mit dem, was in der Schule klassisch passiert. Man muss nur über Digitalisierung in der Schule nachdenken. Es gibt tausend Dinge, die es von außen natürlich leicht machen, das zu kritisieren, was heute da ist. Da will ich gar nicht so tief einsteigen, sondern eher gucken: Wie müsste denn ein Schulsystem sein, was Menschen wirklich für diese Anforderungen, die heute schon da sind, fit macht und oder viel besser auf das vorbereitet, was morgen und übermorgen kommt?

Pero Mićić: Schule in unserer Welt – das gilt für viele andere Länder genauso, das ist nicht nur hier im deutschen Sprachraum so – das ist praktisch das kritischste Feld, wenn man so will, oder das entscheidendste Feld. Und es zeigt am drastischsten, wie veränderungsunwillig und -unfähig wir sind. Wir machen das ja immer noch so wie eh und je. Wenn jemand als Lehrerin sehr fortschrittlich ist, dann setzen die auch schon mal Videos ein. Dann haben die Kinder zweimal in der Woche irgendwie ein iPad in der Hand und das ist es dann schon. Und man hat eben nicht nur Frontalunterricht, sondern man arbeitet in Gruppen und miteinander und organisiert die soziale Interaktion. Da passiert ja schon mal ein bisschen was. Aber es ist ja bezeichnend, dass die modernsten Konzepte, die wir so als Schulen haben, die freiesten Konzepte, die wir in der Schule haben, alle über 100 Jahre alt sind. Also Montessori oder andere. Wie müsste das aussehen? Im Prinzip so wie Kinder heute lernen, Jugendliche lernen und eigentlich, wie wir auch lernen. So wie ich heute lerne, so hätte Schule sein müssen. Ich lerne ganz viel über Video. Ich lerne ganz viel darüber, dass ich mir meine eigenen Modelle mache, dass ich Software dafür nutze, meine Gedanken zu organisieren. Ich lerne ganz viel in der Kommunikation mit Mitmenschen und ganz viel durch körperliche, emotionale Erfahrung und eben nicht nur durch Zuhören und eben gerade nicht nur aus Büchern. Haben wir die Hoffnung, dass sich das schnell ändert? Ich kann es mir nicht wirklich vorstellen. Da müssten wir ja im Prinzip auch wieder die Zeitreisen machen und uns fragen: Wohin wollen wir denn reisen? Wollen wir denn tatsächlich, dass Disziplin wieder eine größere Rolle spielt? So wie in Südkorea oder China, wenn die lernen. Sehr wahrscheinlich wollen wir das nicht. Nee, aber wir müssten dann schauen: Wer macht’s denn gut? Und wer macht es denn innovativ? Machen die Finnen das gut? Ist das ein Modell für uns? Das ist realistisch. Ich würde die Schule versuchen zu beeinflussen. Ich würde sie aber dann annehmen und akzeptieren, wie sie ist und die zusätzlichen Erfahrungen den Kindern dazu organisieren.

Stefan Dietz: Ich habe vor Jahren schon mal von dir eine Methodik gelernt, eine Strategie wäre zu sagen, welche Länder sind denn deutlich weiter in einem bestimmten Punkt und die dann anzuschauen und von denen gezielt zu lernen?

Pero Mićić: Ja, ich habe das die „große Schwester“ genannt früher.

Stefan Dietz: Gibt’s das etwas im Bereich Schule, Ausbildung von Kindern und Jugendlichen? Sind da zwei, drei Länder, wo es sich lohnt hinzugucken?

Pero Mićić: Ja, also die Idee „große Schwester“ war ja: Reise irgendwo hin, wo man sich weiterentwickelt hat, aus welchem Grund auch immer. Und das war früher natürlich produktiver, weil die Abstände größer waren. Aber das gilt heute auch noch. Also ich würde nach Finnland reisen und mir dort anschauen, was die da tatsächlich machen. Also wir lesen ja hier, die haben alle Schulfächer aufgelöst. Das stimmt so nicht ganz. Aber die Welt passiert eben nicht in Fächern. Also ist es richtig. Ich würde nach Finnland reisen, nach Finnland schauen. Ich würde durchaus auch mal nach Südkorea schauen, wie die es schaffen, dass sie eben gerade in den mathematisch naturwissenschaftlichen Fächern so gut sind. Ich würde aber auch in die USA gehen. Nicht deshalb, weil sie ein besonders hohes Lernniveau haben oder Qualifikationsniveau haben, sondern weil sie Unternehmertum auch vermitteln, in gewisser Weise. Was ich mir da nicht abschauen würde, ist die Überbetonung von Sport. Also ich würde mir ein Portfolio zusammenstellen an Ländern oder Regionen, in denen man Schule anders organisiert hat. Ich würde aber auch gehen in die Welt der Spiele. Ich würde mir dort anschauen, wie dort praktisch Schule gemacht wird, wie man dort ausbildet. Ich würde also nicht nur tatsächlich mir Schulsysteme ansehen.

Stefan Dietz: Also Spiele im Sinne von E-Games.

Pero Mićić: Ja genau. Computerspiele. Ich würde mir anschauen, wie werden Erwachsene geschult. Wie bilden sich Menschen weiter, von denen man sieht, dass sie besonders viel und besonders schnell lernen, besonders schnell sich verändert haben? Da würde ich mir dann eine Strategie zusammenstellen mit solchen Beobachtungen.

Stefan Dietz: Ähnlicher Denkansatz. Nochmal zurück bezogen auf den Umgang mit technologischen Möglichkeiten. Du hast eingangs beschrieben: Wir haben so die beiden großen Gs. Das eine ist jetzt glaube ich von Grund auf menschlich. Das andere ist ein bisschen ja auch eine gesellschaftliche Übereinkunft wie rückwärts gewandt oder wie vorsichtig man da ist. Gibt es Länder auf der Welt, wo du sagst, wenn man als verantwortlicher Unternehmer, Führungskraft vielleicht auch in einem öffentlichen Amt steht, lohnt es sich, dorthin zu gucken, um die Art, wie man technologische Möglichkeiten integriert und diesen Wandel auch positiver vorantreibt, wo man da was abgucken kann?

Pero Mićić: Also ein Land, das du genannt hast, ist Estland. Das ist dann die Akzeptanz und Natürlichkeit, mit digitalen Werkzeugen umzugehen. Israel ist ein interessantes Ziel, weil dort aus den besonderen Umständen – also wenn man so will, umzingelt von Feinden, ganz große Bedeutung des Militärs – eine sehr große Innovationskraft geschaffen hat und man unternehmerisch sehr viel sehen kann und erleben kann. Ich würde natürlich ins Silicon Valley fahren, was ja viele jetzt auch machen. Würde auch nach China reisen, um zu sehen, in welcher Geschwindigkeit manche Dinge sich entwickeln. Also nur ein Beispiel: Tesla versucht jetzt bei Berlin in Brandenburg die nächste Giga-Factory zu bauen und wir machen da schon Probleme. In China hat Tesla begonnen im Januar 2019 und hat die ersten Autos produziert im Oktober 2019. Es ist ein Riesenwerk und es ist von 0 bis Produktion in 10 Monaten passiert. Also diese Geschwindigkeiten sich anzuschauen. Ich würde auch mal nach Afrika fahren und mir anschauen, wie in Nairobi Unternehmertum aussieht. Ich erinnere mich, ich habe mal in Nordafrika mit jemandem gesprochen und gefragt: Hier gibt’s doch ganz bestimmt viele Arbeitslose, oder? Und da hat er gesagt: Nee, bei uns gibt’s keine Arbeitslosen. Hier findet jeder sein Geschäftchen, irgendwas zu machen. Das ist eine Frage der Haltung. Da sind wir wieder bei dem Thema von vorhin. Jemand, der arbeitslos ist, müsste eigentlich 40 Stunden die Woche mindestens damit beschäftigt sein, sich selbst zu vermarkten und sich einen neuen Job zu suchen bzw. ein eigenes Unternehmen aufzubauen. Stattdessen machen wir vielleicht zwei Stunden in der Woche dann Bewerbungen oder meinetwegen sechs und warten, bis jemand den Arbeitsplatz schafft. Das ist eine Frage wie wir es zugelassen haben, dass Menschen Arbeit verstehen, nämlich dass andere Arbeitsplätze schaffen und wenn es sie nicht gibt, ist die Katastrophe da.

Stefan Dietz: Und dann wird gejammert, entweder ist es Arbeitslosigkeit in der einen Zeit oder jetzt ist es halt gerade Fachkräftemangel. Das ist ja auch der Begriff, um den herum ich sehr viel arbeite. Aber auch mit der These: Wenn ein Unternehmen sich gut aufstellt und Menschen eine gute Haltung haben, dann findet da jeder sein Plätzchen. Was ist denn dein Blick darauf? Gibt’s einen Fachkräftemangel? Ist das ein ernsthaftes Problem, so wie die Mehrzahl der Unternehmen das einschätzt?

Pero Mićić: Das ist eine Frage der Wahrnehmung. Also ich kann nachvollziehen, dass wenn Unternehmen Anzeigen schalten, sogar so modern sind und Social Media Anzeigen schalten und dann sich zu wenige Menschen bewerben, die man gerne einstellt, dass man sagt, wir können uns nicht weiterentwickeln, weil wir einen Fachkräftemangel haben. Und wenn wir die Fachkräfte hätten, könnten wir jedes Jahr um dreieinhalb Prozent mehr wachsen. Das kann ich nachvollziehen. Was ich nicht nachvollziehen kann ist, dass man sich dann damit abfindet und den Fachkräftemangel dann wiederum irgendwie anderen zum Vorwurf macht. In der Regel ist es ja die Politik, denen man das dann zum Vorwurf macht. Ich könnte ja genauso behaupten: Wir haben seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrtausenden, aber mindestens seit Jahrzehnten einen Kundenmangel. Und darüber klagen wir ja nicht. Was machen wir? Wir werben. Wir machen Marketing. Wir stellen uns auf. Wir differenzieren uns am Markt. Wir positionieren uns. Wir machen uns hoch attraktiv für unsere Kunden und haben dafür ganze Abteilungen, Bereiche, Ausbildungswege. Alles Mögliche haben wir dazu aufgebaut. Und es gibt Unternehmen, die schaffen es, Kunden zu gewinnen und Aufträge zu gewinnen. Und auf der anderen Seite sollte das im Prinzip nicht anders sein. Das heißt, es ist eine Frage der Phantasie, der Kreativität, der Region. Fachkräftemangel gibt’s nicht weltweit. Es gibt weltweit mehr Menschen, die Arbeit suchen und qualifiziert sind oder qualifiziert werden könnten als wir hier brauchen. Bei weitem mehr. Dann gibt es Menschen, die gehen woanders hin, weil die Verhältnisse, die Bedingungen cooler sind oder freier sind oder weil sie da mehr verdienen können. Also es gibt den Fachkräftemangel tatsächlich nur unter den Bedingungen und mit dem Weltbild, das wir haben. Sonst kann ich in Frage stellen, dass es diesen Fachkräftemangel gibt.

Stefan Dietz: Da läufst du bei mir eine große, offene Tür ein, weil ich glaube einfach, das ist ganz, ganz stark auch selbst verursacht. Mit wieviel Energie widmet man sich dem Thema? Wie attraktiv ist man wirklich? Und da würde ich jetzt zum Schluss nochmal so hinlenken, weil du dich ja natürlich auch sehr damit beschäftigst. Da gibt’s eine Schnittmenge zwischen unseren beiden Blickwinkeln. Wie kann ich ein Unternehmen erfolgreich in die Zukunft führen? Und zum einen wäre die Frage: Was sollten aus deiner Sicht Führungskräfte, Unternehmer tun, um sich und ihr Unternehmen im Sinne Wandel und neue Möglichkeiten zu entwickeln? Was müssen die selber lernen? Was brauchen die für ein Mindset?

Pero Mićić: In der Wirkung braucht es für ein Team, für ein Unternehmen, ein positives Zukunftsbild. Das meint: Etwas, wofür es sich lohnt zu arbeiten. Was einen gesellschaftlichen Nutzen bietet. Junge Leute fragen heute viel häufiger als früher: Wofür seid ihr gut? Warum ist eure Firma gut für die Welt? Wie verbessert ihr die Welt? Wie verbessert ihr das Leben von einer Milliarde Menschen? Und wenn man Schrauben produziert oder damit handelt, dann ist das schwer darzustellen. Die Firma Claas macht Mähdrescher und sagt: Wir helfen dem professionellen Landwirt bei der Ernte. Und das machen wir, um der wachsenden Weltbevölkerung Nahrung zu bieten. Wunderbare Verbindung – auch ganz einfach. Space X sagt: Wir machen die Menschheit multiplanetar. Das ist die größte Aufgabe, die wir jemals hatten.

Stefan Dietz: Dann kann man sagen: Gefällt mir das oder nicht? Wenn man das attraktiv findet, ist es sofort klar.

Pero Mićić: Dann fasziniert mich das, dass wir dabei sind. Also ein Unternehmen braucht als Zukunftsstrategie vier Elemente. Eine klare Mission – viele nennen das heute Purpose, aber es ist nicht wirklich etwas Neues. Warum mache ich das? Also, was ist unser Antrieb? Meinetwegen nennen wir es das WHY, ist aber auch nicht neu. Gab es schon immer. Was ist unser Antrieb? Was ist der gesellschaftliche Nutzen, die gesellschaftliche Wirkung, die wir erzielen wollen? Also die Welt retten, Menschheit multiplanetar machen, wie Tesla, die den Wandel zu nachhaltiger Mobilität beschleunigen. Was ist das Wirkungsversprechen für unsere Kunden? Also wie wird euer Leben anders sein durch das, was wir tun? Was ist das Lösungsversprechen? Bei Tesla: Elektroautos, Akkus bzw. Batterie-Farmen und photovoltaische Energiegewinnung. Und wem wollen wir das liefern? Wer ist die Zielgruppe? Das ist die Mission. Wenn die Mission nicht schon einzigartig ist, auch eine Positionierung. Meint: Wie sind wir in dieser Aufgabe einzigartig? Es mag andere geben, die das auch wollen, aber wir sind einzigartig, weil… Tesla war einzigartig, weil es die ersten waren, die große Elektroautos gebaut haben. Ja nicht die kleinen, mit denen man immer gescheitert ist, man war in einer Nische, die gar nicht da war.

Und man braucht eine Vision. Das heißt, was wollen wir in diesem Aufgabenfeld mit dieser Positionierung daraus machen? Was wollen wir verwirklichen? Und welches Geschäftsmodell brauchen wir dafür? Also wie designen wir die Maschine, mit der wir wunderbare Leistung liefern können und dabei auch noch Geld verdienen können, sodass wir unsere Rechnungen bezahlen können? Und wie machen wir das auf eine Weise, dass es schwer kopierbar ist? Diese vier Punkte braucht es. Um dahin zu kommen braucht es Antworten auf fünf Fragen. Frage 1: Wovon sind wir überzeugt, wie sich unser Markt in den nächsten Jahren verändern wird? Was wird kommen? Was wird bleiben? Was wird gehen? Und wenn man in Unternehmen heute reinschaut und in die Köpfe, in die Herzen der Menschen heute reinschaut, in den Unternehmen und lässt die Leute dann unabhängig voneinander Antworten auf diese Frage ausschreiben. Es ist das reinste Chaos, was auf diesen Zetteln entsteht. Also es gibt da ganz selten ein klares Zukunftsbild. Unternehmen scheitern aber daran, dass ihre Annahmen über die Zukunft falsch sind. Alle großen Fälle, die man kennt, warum Unternehmen gescheitert sind, haben immer auch oder ausschließlich damit zu tun, dass sie die anderen nicht geprüft haben.

Stefan Dietz: Oder sich einfach nicht richtig damit auseinandergesetzt haben und einfach etwas verlängern, was eigentlich schon klar ist, dass es nicht kommt.

Pero Mićić: Genau. Und es geht nicht darum, die Zukunft vorauszusagen, sondern die Annahmen permanent zu überprüfen. Es ist also eine permanente Aufgabe, nicht eine prognostische Aufgabe. Das wird häufig missverstanden. Ich nenne das die blaue Zukunfts-Brille, so wie der Kapitän das Wetter und das Meer einschätzen muss. Zweite Perspektive: Was könnte uns dereinst überraschen? Also was ist gerade unwahrscheinlich, könnte aber trotzdem passieren und wäre für uns relevant? Ich nenne es die rote Zukunfts-Brille. Das wäre beim Kapitän das Feuer, das brennt und das Blut, das fließt, wenn Piratenschiffe anlaufen. Also beispielsweise: Jetzt setzen alle auf elektrische Mobilität. Ich bin mir auch absolut sicher, Wasserstoff spielt bei PKW niemals eine Rolle. Es wäre dann aber überraschend, wenn man Wasserstoff in einem Stoff binden kann, der heißt Benzintoluol, und damit könnte ich Wasserstoff ohne 700 bar Druck, ohne diesen ganzen Aufwand einfach flüssig tanken und dann wieder den Wasserstoff daraus lösen. Das hat zwar 3-, 4-, 5-fachen Energiebedarf wie elektrische Batterien, aber es könnte sein, dass die Menschheit unlogisch genug ist, um dann darauf zu setzen. Ok, wäre eine Überraschung. Ich halte es überhaupt nicht für wahrscheinlich. Ich halte es für unwahrscheinlich, aber gerade deshalb muss ich darauf gucken.

Stefan Dietz: Es geht ja um die Idee, einfach diese Gefahren in den Blick zu nehmen und damit sicherer zu sein.

Pero Mićić: Das ist die zweite Ursache. Wie komme ich dahin? Entweder indem ich einfach meine Annahmen umkehre und sage: What if? Was, wenn es genau andersherum kommt? Oder nehme ich Wargames-Spiele, Kriegsspiele? Also ich stelle mir vor, wie mich Wettbewerber angreifen würden.

Frage 3: Was könnten wir aus unserem Unternehmen, aus unserem Team, aus unserem Geschäft, aus unserer Schule, aus unseren Produkten noch machen? Was sind die Chancen, die wir haben? Grüne Zukunfts-Brille: praktisch die fruchtbaren Länder und Destinationen, zu denen man segeln könnte. Also das ist der positiv-kreative Teil. Der erste ist analytisch. Und der zweite ist praktisch so negativ kreativ.

Vierte Frage: Welche Zukunft erstreben wir? Dann haben wir das Ergebnis, das ich vorhin genannt habe: Mission, Positionierung, Vision, Geschäftsmodell. Gelbe Brille: praktisch die grüne Insel, aber die mit dem schönsten Strand. Also die, wo wir hinsegeln wollen. Und die letzte, violette Zukunfts-Brille. Was tun wir jetzt? Was planen wir jetzt? Planung ist ja heutzutage sinnvollerweise eben in kurzen Schritten und kurzen Zyklen. Violett sind dann die Blutergüsse, die man sich auf dem Schiff zuzieht, wenn man den Segel Plan umsetzt. Diese fünf Perspektiven muss man beantworten, damit meine Zukunftsstrategie hat und sie emotional wirksam machen, Menschen mitnehmen. Und das – in eine kurze Formel gebracht, aber ganz, ganz bedeutend – nicht die Zukunftsstrategie in Aufgaben verteilen an die Leute, sondern jeder Einheit, jedem Team, jeder Abteilung ermöglichen, ihre eigene Mission und Version zu entwickeln, die auf die gemeinsame einzahlt. Dann haben sie es selbst gemacht, verstehen es besser, es ist ihnen nah und sie wissen, wofür sie da sind und wie gut sie werden wollen in ihrer Vision.

Stefan Dietz: Das kann ich hundertprozentig unterschreiben. Das, was du jetzt gerade beschrieben hast, ist ja, glaube ich genau das, was ihr tut als Beratungsunternehmen Unternehmen: Dabei zu begleiten, sowas für sich zu entwickeln. Gib uns noch eine Idee. Wenn jemand sagt, da ist so viel drin, das wäre für uns genau das, was wir brauchen. Wie arbeitet ihr? Was tut ihr?

Pero Mićić: Ja, im Prinzip gehen wir diese Perspektiven durch, beantworten mit unseren Klienten zusammen diese Fragen. Es gibt drei Phasen: Zukunftsorientierung schaffen, was kommt, bleibt, geht, was kann uns überraschen? Zukunftsstrategie entwickeln. Wie vorhin gezeigt. Und Zukunftsstrategie wirksam machen. Das heißt Menschen mitnehmen bzw. dafür sorgen, dass sie selbst mitkommen wollen. Das machen wir in individuellen Projekten in Unternehmen. In der Regel in privaten Unternehmen, weil deren Zeithorizont länger ist, in der Regel in größeren Unternehmen. Aber wenn jemand auf uns zukommt und ist irgendwie ganz allein oder hat nur drei Mitarbeiter, dann geht das auch. Und die Reise beginnt oft oder meistens mit der Teilnahme am Leaders Vision Day. Das ist ein eintägiger Event, der an sieben Stätten im deutschen Sprachraum stattfindet, sehr preiswert ist, Video Einheiten davor hat, einen inspirierenden Tag, Zusatzlieferung danach hat. Also da legen wir uns richtig ins Zeug. Ich mach den auch selbst. Und wer dann genug inspiriert ist, kann selbst umsetzen. Wer genug inspiriert ist, aber Unterstützung will, der kommt dann nochmal zu uns.

Stefan Dietz: Da werde ich ja selber demnächst auch dabei sein in ein paar Tagen und da mache ich dann bestimmt auch gerne Werbung für dich, weil ich einfach sehr, glaube ich, mit dir, Bruder im Geiste bin, dass diese Zukunftsorientierung viel mehr Raum braucht. Und das ist ja auch gerade im Arbeitsmarkt ein schon immer wichtiges und noch viel wichtiger werdendes Asset, dass man wirklich eine sinnvolle Aufgabe hat. Eine philosophische Frage muss ich dir aber noch stellen. Es gibt ja in der Betriebswirtschaft diese gefühlt in den letzten Jahren nie in Frage gestellte Überzeugung: Der wichtigste Zweck eines Unternehmens ist es, Gewinn zu machen. Dem habe ich noch nie zugestimmt. Aber wenn du gefragt würdest: Was ist der Zweck eines Unternehmens? Was würdest du sagen?

Pero Mićić: Der Zweck eines Unternehmens muss bestimmt werden. Das mit dem Geld verdienen ist das Resultat der Erfüllung des Zwecks. Also natürlich gründen Menschen Unternehmen auch mit dem Motiv, dass sie davon leben wollen. Das gibt’s auch. Die Unternehmen, die dann nur aus diesem Motiv gegründet werden, wie soll ich sagen, die haben geringere Erfolgswahrscheinlichkeit, weil die Energie dahinter, die Leidenschaft, die ja, wenn man so will, der Antrieb dahinter und die Vision darin schlicht schwach sind oder erfunden sind oder erst einmal konstruiert wurden. Das haben wir dann leider in den meisten Unternehmen. Also wir haben ja irgendwie alle ein Mission-Statement und Vision-Statement, aber selbst die Führungskräfte müssen das erst nachlesen auf der Website und dann ist das natürlich vollkommen wirkungslos. Der Zweck eines Unternehmens ist, dauerhaft für eine bestimmte Art von Mensch eine Wirkung zu liefern und die immer besser zu machen. Und jetzt kann ich die Variablen füllen. Ich kann sagen, ich mache die besten Brötchen für die jungen Leute in der Stadt – wenn die überhaupt nur Brötchen haben wollen. Und wenn ich das erfüllt habe, dann werde ich auch ordentlich Geld verdienen. Also zu sagen, unsere Aufgabe ist, Geld zu verdienen, das hört man in Versicherungsunternehmen. Das hört man in Bankunternehmen, das hört man in den klassischen Unternehmen, die keine Leidenschaft haben.

Stefan Dietz: Geld verdienen ist natürlich wichtig und es zeigt, ob wir effizient organisiert sind, aber wenn der Sinn und das Warum nicht da sind, dann gewinne ich auch nicht die Menschen, die wirklich etwas bewegen wollen und dann ist die ganze Wettbewerbsfähigkeit dahin. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Also ich glaube, wir könnten das stundenlang fortsetzen. Da werden wir bestimmt Formate dafür finden und auf das eine oder andere von dir auch auf unserer Webseite hinweisen. Ganz zum Schluss. Was ist dein Zukunftsbild, das Du vor Augen hast?

Pero Mićić: Darüber könnten wir erst recht Stunden sprechen. Mein Zukunftsbild. Du meinst für die Welt?

Stefan Dietz: Letztlich für die Welt, bezogen vielleicht auf den Punkt für die Welt des Arbeitens und Lebens.

Pero Mićić: Ja, in aller Kürze. Wenn ich sehe, wie sich die Welt verbessert hat in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten, dann kann ich zu dem Schluss kommen: Früher war eigentlich fast alles schlechter. Da gibt es ganz viele Faktoren. Das macht mich zuversichtlich, dass die Welt in Zukunft nicht schlechter, sondern besser wird. Gerade deshalb auch, weil wir noch viel, viel bessere Werkzeuge dafür haben. Das, was die Welt verbessert hat, war zu einem ganz großen Teil Technologie, ein Stück weit natürlich auch Einsicht und philosophischer Fortschritt usw. Aber ganz viel Technologie und die Werkzeuge werden besser. Das heißt, wir werden länger leben, wir werden gesünder leben, wir werden auch friedlicher leben. Die Gewaltverbrechen sind deutlich zurückgegangen. Das nimmt man so nicht wahr, ist aber Fakt. Wir werden wohlhabender sein und wir werden erfüllter arbeiten. Das ist aber nicht von heute auf morgen. Es ist ein Prozess, der die nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte stattfinden wird. Wir werden, und das hoffe ich, zu einer Lösung kommen, wie wir Menschen ein Grundeinkommen ermöglichen, auch wenn sie nicht arbeiten können. Ich glaube nicht, dass man ein Grundeinkommen bedingungslos machen sollte. Aus mehreren Gründen, die wir jetzt nicht mehr erläutern können. Und ich glaube nicht, dass es jedem gezahlt werden müsste. Das sind Vorstellungen, die ich für falsch halte. Ich habe dazu ein ausführliches Video gemacht. Und ich glaube, dass eine Lösung ist, möglichst viele Menschen unternehmerisch aktiv werden zu lassen. Diese Vorstellung, diese Zweiteilung der Welt in Arbeitgeber, Unternehmerinnen und Unternehmer und auf der anderen Seite die Schar der Menschen, die darauf angewiesen ist, dass diese Arbeitsplätze schaffen, ist schon lange aus der Zeit. War vielleicht mal zu Zeiten von Marx und ein paar Jahrzehnte danach so denkbar und vorstellbar. Da ist eine Hoffnung und ich erwarte aber auch, dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, dass wir hier deutliche Fortschritte machen und schlicht reifer werden in unserem Verständnis davon, was Arbeit ist.

Stefan Dietz: Toll! Vielen Dank! Ich finde, das war insgesamt ein super inspirierendes Gespräch mit viel Grund, Hoffnung zu behalten und nicht ins Gegenteil zu fallen. Das ist genau die Energie, für die wir auch stehen. Ganz herzlichen Dank, lieber Pero Mićić.