Neue Beispiele braucht das Land …

SAP ist ein gutes Beispiel eines großen Arbeitgebers, der dennoch auf Vertrauen in und Flexibilität für seine Mitarbeitenden setzt.

Tja – das werde ich jetzt wohl ändern oder zumindest anders kommentieren müssen.

Heute saß ich eine ganze Weile kopfschüttelnd vorm Rechner. Was ich da gelesen hatte, musste ich gleich weiter recherchieren.

Ich war über einen Linkedin-Post gestolpert. Die Personalchefin von DATEV hatte einen tollen Post formuliert mit der Überschrift: „So geht Motivation …. NICHT“.

Erst als ich ein paar Posts weiter gescrollt hatte, verstand ich, auf welches Unternehmen sie sich bezog: SAP.

Die Walldorfer Softwareschmiede hatte wieder mal HR-Schlagzeilen gemacht. Dieses Mal womöglich eher unrühmliche.

Neben vielen ähnlich lautenden Meldungen hat die Süddeutsche Zeitung das prägnant formuliert. Ich verlinke hier zum Artikel.

Die Kurzform: SAP will ein internes Bewertungssystem einführen. Führungskräfte sollen ihre Mitarbeiter in drei Gruppen einteilen: „Performer“, „Achiever“ und „Improver“.

Da war doch was. Die älteren in der Runde erinnern sich an … genau. An Jack Welch und General Electric in den Achtzigerjahren. Dazu gleich.

Mit meiner Perspektive kommt es fast noch schlimmer, wenn man die nächsten Zeilen liest. SAP will wohl verpflichtend drei Präsenztage im Büro einführen.

Das ist – verglichen mit der Strategie und Kultur der letzten Jahre mehr als ein Kulturschock, eher eine rabiate Rolle rückwärts.

Bevor Sie jetzt denken „Siehste – vielleicht ist das doch richtig, die Leute wieder zurück in die Büros zu holen. Und ein bisschen mehr Leistungsdenken ist ja vielleicht auch nicht schlecht.“ – lassen Sie uns die Entwicklung etwas sortieren und genauer anschauen. Jenseits von Schwarz-Weiß oder der schnellen Empörung dürften hier nämlich ein paar wertvolle Erkenntnisse warten.

Alles sah so gut aus…

Es ist ja immer so eine Sache, wenn man andere Unternehmen als Beispiele anführt. Meist kennt man nicht alle Hintergründe. Manchmal sehen die Dinge bei Licht betrachtet anders aus als beim ersten Eindruck von außen. Alles, was ich hier schreibe, steht ein wenig unter diesem Vorbehalt…

Und manchmal verändern sich Dinge, die so gar nicht zu dem vermittelten Bild passen wollen. So wie jetzt offenbar.

In meinen Keynotes und Strategieworkshops zeige ich einige positive Beispiele von SAP als großem Arbeitgeber, der sich in vielerlei Hinsicht in den letzten Jahren einen hervorragenden Ruf aufgebaut hat.

SAP hat schon 2016 mit einer sehr flexiblen Remote-Policy („Sie können arbeiten, wo Sie wollen. Sie müssen das nur mit Ihrer Teamleitung abstimmen“) Schlagzeilen gemacht. Man integriert Menschen aus dem autistischen Spektrum als hochtalentierte Software-Prüfer. SAP gilt als Vorbild für Work-Life-Balance und wirklich umfassende Mitarbeiterleistungen – leckeres Essen inklusive. Man führt Fokus-Fridays ohne Meetings ein, zahlt Vätergeld, pflegt eine gute Feedback-Kultur und sticht immer wieder durch außergewöhnliche Initiativen hervor. Die SAP- Karriere-Website lässt normale Arbeitgeber vor Neid erblassen. Schauen Sie gerne mal drauf, so lange sie noch so aussieht 😉.

Alles in bester Ordnung. Sollte man meinen oder konnte man meinen.

… und dann das !

Vor einigen Wochen schlug in der deutschen Personaler-Szene eine Nachricht ordentlich Wellen:

„Cawa Younosi verlässt SAP“

Das war eigentlich unvorstellbar. Wurde für Cawa doch extra eine weltweite Position geschaffen und stand er wie kein zweiter für die People Strategy und Employer Brand des Softwarekonzerns. Auf Linkedin hat er über 100.000 Follower und das völlig zurecht, weil er über Jahre kompetent und klar wertvolle Aussagen zur Themen rund um Führung und Recruiting beisteuerte.

Ich folgte ihm schon länger, wir haben uns bei einigen Tagungen getroffen und letztes Jahr habe ich ein kurzes, aber sehr inspirierendes Interview mit ihm geführt. Dazu verlinke ich hier nochmal (s. auch unten im Kasten).

Auch hier mit aller Vorsicht ohne interne Hintergründe zu kennen: Angesichts der aktuellen Verlautbarungen macht diese Entscheidung zur Trennung irgendwie Sinn.

 

Vertrauen führt – oder die Geister der Vergangenheit?

Fangen wir mit der „Winning Culture“ an. Die besten bekommen Boni, die große Mitte macht so weiter, die letzten beißen die Hunde. Im Urkonzept von Jack Welch wurden die einfach gefeuert. Klingt logisch. Schmeißt man jedes Jahr die 5 % schlechtesten Mitarbeiter raus, wird die Firma immer besser…

Jack Welch hat als harter Hund des Managements bei GE in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit einer solchen Strategie Furore gemacht. Das mag ja unter amerikanischem Arbeitsrecht funktionieren, aber bei uns?

Mal ganz von Menschenbild, Firmenkultur und Co abgesehen. Auch der SAP-Vorstand erhofft sich eine erhöhte Fluktuation. Im Ernst.

Die wird er vermutlich auch bekommen.

Ich verstehe nur nicht, wie man sicherstellen will, dass die richtigen Leute gehen.

Vielleicht – das würde mich nicht wundern – entstehen zumindest kurzfristig sogar leistungssteigernde Effekte. Auch Angst ist ein Antreiber.

Wenn man aber in komplexen Jobs Menschen benötigt, die mit Freude und echter Identifikation mitdenken, ist das vermutlich das falsche Konzept. Ich halte es da eher mit Reinhard Sprengers berühmtem Buchtitel „Vertrauen führt“.

Alle Menschen an der Spitze von Firmen, die diesen Weg gehen, sollten sich auch von solchen Schlagzeilen nicht kirre machen lassen. Bleiben Sie auf Kurs!

Die Kraft der Arbeitgebermarke

Man darf gespannt sein, wie sich das bei SAP jetzt weiterentwickeln wird. Einen Aspekt kann man aber meines Erachtens gerade sehr gut beobachten. Wer näher dran ist, würde darüber wahrscheinlich noch sehr viel mehr berichten können.

Ein Grund für den heftigen Aufschrei in der Personaler-Szene dürfte in der Fallhöhe liegen. Es gibt Konzerne, bei denen die gleichen Maßnahmen eher ein müdes oder mitleidiges Achselzucken hervorgerufen hätten.

Aber bei SAP? Diesem so vorbildlichen Arbeitgeber? Der sich über Jahre ein konsistent positives Profil erarbeitet und kommuniziert hat?

Da will das so gar nicht zusammen passen.

Dementsprechend sind die Betroffenen alles andere als angetan. Von „Ärger“ berichten die einen, von „Kulturkampf“ die anderen. Vermutlich ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Wie ich die Berichte lese, sind die geplanten Maßnahmen zustimmungspflichtig und noch längst nicht in eine Betriebsvereinbarung gegossen.

Setzt sich die neue Linie durch, dürften Menschen abgeschreckt sein, die an Bord wollten. Andere, die schon an Bord sind, fahren womöglich ihren Einsatz eher etwas zurück, die Liebe dürfte abkühlen.

Und was lernen wir daraus?

Möglicherweise zeigt genau diese Entwicklung wie stark eine über Jahre aufgebaute Arbeitgebermarke sein kann und wie wichtig es ist, die Kernwerte konsistent und langfristig zu leben. Schade nur, dass das so besonders deutlich werden muss, indem man die zentralen Markenaussagen gerade völlig konterkariert.

Eine solche Kehrtwende, wie wir sie scheinbar gerade als Zuschauer erleben,
sollten Sie im eigenen Unternehmen besser nicht machen.

Lassen Sie lieber die Kraft Ihrer Arbeitgebermarke dauerhaft positiv strahlen.

Führung ist auch in wertschätzend kein Ponyhof…

Einen genaueren Blick verdient auch das Thema Leistung. Ich kann zwar die dauernde Klage über die angeblich fehlende Leistungskultur nicht mehr wirklich hören. Aber dennoch:

Ein Unternehmen kann nur erfolgreich sein, wenn es gute Ergebnisse erzielt,
rentabel ist und Mittel für Investitionen hat. Auch gute Gehälter und attraktive Arbeitgeberleistungen wollen finanziert werden.

Das ist unstrittig. Es ist ein Teil guter Führung, Ziele zu klären, Ergebnisse transparent zu machen und Feedback zu geben. Dazu kann auch gehören, dass man Mitarbeitenden deutlich macht, dass eine gezeigte Leistung oder Haltung nicht reicht. Dann muss sich etwas spürbar zum Besseren entwickeln oder man muss sich trennen.

Diese Themen finden ihren Raum in guten und vertraulichen Vier-Augen-Gesprächen und sind Teil der Führungsarbeit. Das darf wertschätzend und verständnisvoll sein. Es lohnt sich, verstehen zu wollen, warum Menschen an ihrer jetzigen Position nicht so performen wie erhofft. Aber muss man deshalb jemanden euphemistisch zum „Improver“ erklären und ihm Zwangscoaching androhen?

Wie entwürdigend!

Da wäre es doch viel klüger, verstehen zu wollen, wie man das System verändern, die Person unterstützen und für klare Absprachen und in der Folge Ergebnisse sorgen kann.

Ähnliches gilt im übrigen auch für die Thematik der Anwesenheit im Büro. Auch die steigern zu wollen, ist per se nicht falsch. Sind die Gründe nachvollziehbar und schlüssig, machen Menschen da auch gerne mit.

Aber pauschale Vorschriften?

Das ist entmündigend.

Die Botschaft: Der Blick auf Ergebnisse ist ein fester Bestandteil von Führung.

Wahre Führung – inkl. aller Konsequenzen – darf (und muss) vertrauensvoll, wertschätzend und menschlich sein. Gute Ergebnisse muss sie trotzdem sicherstellen. Das ist nicht nur kein Widerspruch, sondern gelingt womöglich in dieser Kombination auch am besten.

Abgerechnet wird am Ende

Wissen Sie, was das Fatale mit immateriellen Kosten ist?

Man sieht sie nicht gleich – und das macht sie so gefährlich. Es könnte nämlich eine paradoxe Situation entstehen.

Vielleicht schlägt das neue Personalkonzept noch hohe Wellen der Entrüstung in der Szene. Vielleicht verliert SAP eine ganze Menge guter Leute. Womöglich sinkt das Mitarbeiterengagement um einige Prozentpunkte. Wahrscheinlich schwärmen weniger Leute von SAP als Arbeitgeber, vielleicht sinkt der Stern am Arbeitgeberhimmel.

Dennoch könnte es sein, dass der Aktienkurs steigt und die Produktivität mit. Das wäre kein Wunder. Tritt die erwünschte Fluktuation ein, sinken die Personalkosten (wenn man das als verdeckte Abbau-Strategie versteht). Das ist der schnellste Weg zu steigender Rentabilität. Kurzfristig jedenfalls.

Die vermeintliche Annahme „Funktioniert doch“ könnte eine kurzfristige Täuschung sein.

Bis man den Preis der Schäden durch Enttäuschung, reduzierte Identifikation und geringere Strahlkraft im Arbeitsmarkt bezahlen muss,
ist das verursachende Management meist nicht mehr da.

Es kann aber auch ganz anders kommen.

Es könnte sein, dass die Unternehmenskultur so stark ist, dass die Pläne wieder zurückgezogen werden. Dann sagt man vielleicht „Wir haben verstanden“ oder „War ein Fehler“, tauscht ein paar Köpfe aus und macht in der ursprünglichen Kultur weiter als ob nichts gewesen wäre.

Es könnte auch sein, dass der Weg eine Weile so gegangen wird, ehe man wieder auf den Pfad der Tugend zurückkehrt. Ein Unternehmen wie SAP und seine Arbeitgebermarke – wird man dann sagen – kann das mal ein oder zwei Jahre aushalten. Das ist dann wie eine Fitness-Kur, man hat Übertreibungen abgebaut wie den Winterspeck und an Fitness gewonnen. Dann erst tauscht man das Management aus und kehrt zu den Wurzeln zurück.

Es könnte sogar sein, dass der neue Weg lange eingehalten wird und SAP das auch aushält. Mit weniger Strahlkraft aber immer noch attraktiv genug, um neue Leute zu finden.  Das kann lange gut gehen. Nicht mehr glänzend, aber gut. Für die reinen Zahlen kann das noch einige gute Jahre bringen, ehe man den Preis zahlen muss.

Aber Achtung. Unternehmen, die weniger gut zahlen können, weniger bekannt sind und weniger Strahlkraft aufgebaut hatten, können sich hier viel weniger leisten
und zahlen den Preis viel schneller.

Vorteil Mittelstand …

Das ist heute ein langer Impuls geworden. Aber ein Gedanke muss trotzdem noch sein.

So schade ich es finde, wenn ein so guter Arbeitgeber auf Abwege zu geraten scheint. Die Entwicklung zeigt einen für mich elementaren Vorteil von inhabergeführten Mittelständlern im Arbeitsmarkt.

Sind die Personen an der Spitze von Unternehmen
wirklich klar und überzeugend in ihren Werten,
ihrem Menschenbild und in ihrer People Strategy,
entfalten sie eine unwiderstehliche Kraft im Arbeitsmarkt.

Je länger und konsistenter Sie das durchhalten, desto kraftvoller strahlt die Marke. Dafür stehen Sie mit Ihrem Namen und ihrer ganzen Persönlichkeit.

In Konzernen ist es normal, dass das Management häufiger wechselt. Konsistenz ist da sehr viel schwieriger. Sogar bei scheinbar großartigen Unternehmen kann das passieren. Das frustriert viele, die dann nach glaubwürdigeren und langfristigeren Alternativen suchen.

Das passiert in weniger öffentlichkeitswirksamer Form allenthalben. Jeder einzelne Fall ist eine Chance für die guten, langfristig glaubwürdigen und wirklich starken Arbeitgeber.