Learnings aus einem Kundenbeispiel der Modebranche

Unser Kunde, die Assyst GmbH bietet Softwarelösungen für den gesamten Design-, Produktions- und Marketingprozess in der Modebranche. In der diesjährigen Kundenveranstaltung, in der ich erneut als Moderator fungierte, wurde die neueste Softwareversion vom Team um Geschäftsführer Hans Peter Hiemer präsentiert und der Wandel der Branche beleuchtet. Da wir schon einige Jahre zusammenarbeiten, kann ich den dynamischen Wandel sehr gut miterleben. Die Geschwindigkeit ist beeindruckend – die Herausforderungen sind es auch. Das gilt für den technologischen Aspekt, aber natürlich auch für die Entwicklung der Unternehmen – inkl. der Herausforderungen im Arbeitsmarkt.

Warum ich Ihnen das erzähle? Einige Learnings sind übertragbar auf andere Branchen und Unternehmen und deshalb möchte ich diese mit Ihnen teilen.

Willkommen in der digitalen Welt

Denkt man an die Modebranche, tauchen schnell Bilder der glitzernden Fashionwelt auf. Laufstege, illustre Marken, rote Teppiche, tolle Outfits. Leider gibt es auch eine andere Seite. Kaum eine Branche verursacht so viel Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung. Tonnenweise werden Kleidungsstücke zu Abfall – falsche Größen, geänderter Geschmack, Überproduktion.

Wie ich heute über das technisch Mögliche staune, habe ich anfangs über das in der Branche „Übliche“ gestaunt. Designer erstellen Skizzen und schnipseln Stoff-Stücke, Muster werden um die Welt geschickt und es verging immens viel Zeit von der Idee bis zur Produktion oder gar dem schönen Stück im Laden.

In den letzten Jahren sind Software-Lösungen immer leistungsfähiger geworden. Assyst hat daran einen ordentlichen Anteil. Was schon lange erkennbar war, erreicht jetzt die Realität: der gesamte Prozess von der Idee über die Produktion bis zur Erzeugung von Bild und Video für den Verkauf kann digital abgebildet werden. Und zwar durchgängig mit einer einheitlichen Datenbasis und in 3D. Und das in einer Qualität, die ich atemberaubend finde. Erinnert der Avatar aus dem Designprozess noch etwas an eine Schaufensterpuppe, verwandelt er sich auf Knopfdruck in eine unglaublich lebensechte digitale Persönlichkeit. Die Typen können je nach Marke gestyled werden und das gerade entworfene Kleid direkt in Showroom und Online-Shop hineintragen. Das ist beeindruckend.

Was das bedeutet? Nun, zum einen, kann die Idee des Designers sofort in Schnittmuster umgesetzt werden, jede Veränderung im Design wirkt sich bis in die Produktionsdaten aus. Gekoppelt mit der entsprechenden Ausstattung an Hardware können sämtliche Stoffe und Utensilien komplett digital bemustert werden. Dadurch sinkt die Zeit von der Idee bis zur Produktion extrem. Die Risiken von Fehl- oder Überproduktion sinken erheblich. Geht das schon lange, kommt jetzt die Weiterführung des Prozesses bis in Online-Shop oder digitalen Showroom. Foto und Video des Models mit dem fertigen Kleidungsstück kann genauso rein digital produziert werden. Das einzige, was noch materiell entsteht, ist das Kleidungsstück selbst. Im Idealfall erst produziert, wenn der Kunde es gekauft hat.

The Point of no return

In den letzten Jahren konnte ich die Entwicklung hautnah beobachten. Vor ein paar Jahren haben Firmen Pilotprojekte gezeigt und einzelne Kleidungsstücke rein digital entwickelt. Die eigentliche Kollektion wurde klassisch erstellt. Mit den Fortschritten der Technologie hat sich das geändert. Inzwischen scheint der Punkt erreicht, bei dem die digitale Führung des Prozesses zum Standard wird. Das ist ein Tipping Point. Schon fordern die Pioniere der Branche von ihren Lieferanten die digitale Bereitstellung ihrer Zutaten. Wer nicht digital ist, wird nicht mehr mitspielen dürfen.

Noch ein Aspekt: die volldigitale Abbildung jeder Zutat eines Kleidungsstücks ermöglicht es auch, einen ökologischen Fußabdruck per exakter Daten digital anzuhängen. Wie früher das eingenähte Etikett, wird für jeden Kunden transparent, wieviel CO2, Wasser und Energie zur Produktion von T-Shirt oder Sakko verwendet wurde.

Diese ganze Entwicklung ist bemerkenswert – und vermutlich nicht ohne Beispiel.

Wer den Punkt im Wandel zu neuen Technologien verpasst, ist raus.
Entwicklungen scheinen lange langsam zu laufen,
ehe die Dynamik zunimmt und ein Wendepunkt das alte Normal ins Aus katapultiert.

Der Wechsel auf E-Mobilität lässt grüßen. Beim autonomen Fahren dürfte Ähnliches folgen und irgendwann werden digitalisierte Verwaltungsprozesse auch die letzten Faxgeräte verbannt haben.
Der kleine Ausflug in die Technologie einer bestimmten Branche ist Hintergrund für eine enorme Herausforderung in der Führung und Entwicklung der Firmen. Und diese – für mich besonders interessanten – Herausforderungen können wir leicht auf andere Branchen übertragen.

Technologie ist das Eine – die Organisation das Andere

Die Modebranche ist – zumindest in Deutschland und Mitteleuropa – sehr mittelständisch geprägt, Führungskultur und Unternehmensorganisation sind teilweise recht konservativ.

Treiber des Wandels sind der Druck des Wettbewerbs in Verbindung mit den Fortschritten in der Technologie. Aus vielen Beispielen kann man darüber lernen, wie ein solcher Wandel tatsächlich gelingen kann. Einige Erfolgsfaktoren:

1. Digitalisierung ist Chefsache

Gibt es keine klare Entscheidung, starken Rückhalt, nötige Ressourcen und entsprechende Priorität von der Spitze des Unternehmens, haben die Pioniere im Unternehmen keine Chance gegen Bedenkenträger und alte Strukturen. Ein klares Commitment der Unternehmensleitung ermutigt die Innovativen und zeigt den Bremsern die Grenzen auf.

2. Digitalisierung braucht Pioniere
In der Einführungsphase brachten digitale Prozesse noch nicht in allen Belangen die gleiche Qualität wie der erprobte, künstlerische oder handwerkliche Ablauf. Das Knowhow will aufgebaut, die Handhabung trainiert und gute Ergebnisse erzeugt werden. Überall, wo begeisterte und experimentierfreudige Pioniere Raum und Ressourcen bekommen haben, konnten Firmen in erstaunlich kurzer Zeit tolle Erfolge vorzeigen.

3. Sog in der Mannschaft erzeugen
Firmen, denen ein schnelles Ausrollen der digitalen Prozesse anstelle der althergebrachten gelungen ist, haben ihre Belegschaften geschickt mitgenommen. Je eher Menschen konkrete Ergebnisse des neuen Arbeitens erleben konnten, desto schneller sind die Vorbehalte verschwunden. Im Idealfall entsteht ein Sog und Menschen wollen auch „mitmachen dürfen“. Gelingt das, ist die Akzeptanz ungleich höher als bei verordneter Einführung mit dem Holzhammer.

4. Von der Silostruktur zum Prozessdenken

Gerade wenn der Prozess vom Design bis zum Verkauf durchgängig sein soll, müssen Unternehmen das Denken in Abteilungen über Bord werfen. Stattdessen braucht es Teams, in denen alle Funktionen vom Design über die Produktion bis hin zu Verkauf und Marketing mit an Bord sind. Agilität statt Hierarchie, Interdisziplinarität statt Abteilungen.

5. Digitalisierung ist Führungsaufgabe
Eine Organisation in diesem Prozess so zu verändern, ist vor allem eine Führungsaufgabe. Führungskräfte müssen selbst mit der richtigen Zukunftshaltung an die Themen herangehen. Sie müssen eine klare Richtung vorgeben, die geeigneten Pioniere ausfindig machen und ihnen den nötigen Freiraum geben. Gelingt es dann noch, die ganze Mannschaft durch einen gut eingefädelten Prozess mitzunehmen, Stolz und Begeisterung auszulösen, dann wird das Unternehmen vermutlich überleben. Wenn nicht, gibt es wieder ein Exemplar für das nächste (Textil-)Museum.

6. Arbeitsmarkt voller Chancen
Natürlich spielt auch hier der Arbeitsmarkt eine große Rolle. Wer mit den modernen Tools arbeiten kann, sollte sich seinen Job aussuchen können. Was gut ausgebildete Talente in der Branche suchen? Prof. Christian Kaiser von der Hochschule Albstadt-Siegmaringen ist da deutlich: „Die Leute wollen wirklich in 3D arbeiten können, nicht spielen“. Es sind nicht die Benefits oder das Geld – das Motivierende ist die Aufgabe selbst. Wer umsetzen darf, was man gerade im Studium gelernt hat, sprüht vor Begeisterung. Wer spürt, dass die eigenen Projekte wichtig sind für die Firma, geht motiviert zu Werke.

Das ist allemal ein oft unterschätzter Faktor in der Arbeitgeberkommunikation:

Die reizvolle Aufgabe selbst und die Gestaltungsmöglichkeiten sind der wichtigste Benefit.

Arbeitgeber sind dann attraktiv, wenn das gesamte Paket stimmt. Die Zukunftsaussichten, moderne Tools und nicht zuletzt ehrlich gemeinte Anstrengungen für mehr Nachhaltigkeit. Stimmen dann auch die Prozesse in der Mitarbeitergewinnung und der Personalentwicklung, sind die Chancen groß, trotz Fachkräftemangel die richtigen Leute zu gewinnen. Wer die Entwicklung verschläft, kommt aus der Negativspirale vermutlich nicht mehr heraus.

Hybride Events – das beste aus beiden Welten

Über Dramaturgie und Technologie guter Online-Events oder hybrider Veranstaltungen habe ich ja schon öfter berichtet. Das wird immer besser. Mein Kollege Emanuel Koch ist mit seinem Team bei einigen unserer Kunden für den technischen Part inzwischen fester Partner.

Man sieht einfach den Unterschied, wenn die Zuspielungen eher nach „Heute Journal“ aussehen als nach Zoom-Webinar. Wenn die Auflösung höher, die Bildkomposition schöner und die Übergänge professioneller sind – das unterstreicht den Qualitätsanspruch. Ist die Software, um die es geht, weltweit führend, muss auch die Qualität unseres Events spitze sein. Simultanübersetzung für den englischsprachigen Stream inklusive.

Als Moderator entsteht Fernseh-Feeling – mit Knopf im Ohr und Regieanweisung, mehreren Kameras und irre heißer Studio-Beleuchtung. Auf letzteres könnte man echt verzichten – nach 2 Tagen sind Sie durch.

Was man möglichst nicht merken sollte: die Absicherung. Zur Sicherheit ist alles mindestens doppelt vorhanden: Internet-Zugang, Stromversorgung, alle Technik – sogar eine alternative Streaming-Plattform ist am Start. Man weiß nie, was ausfällt. Wir senden dann weiter.

Solche Moderationen sind interessant – aber auch anstrengend und aufwändig. Briefingtermine mit allen Gästen, Anmoderationen auf Deutsch und Englisch im Wechsel, Panel-Diskussionen und immer den roten Faden über alle Themen halten. In diesem Jahr war das Event ziemlich hybrid. Eine Menge Gesprächspartner waren live mit uns im Studio, andere zugeschaltet aus aller Welt – u.a. aus Südafrika, Indien oder Frankreich. Besonderer Aspekt: unser Stream wurde live auf die parallel stattfindende Messe „Texprocess“ ausgestrahlt und per Live-Schalte gab es Beiträge von dort.

Ich bin gespannt, wie das in einigen Jahren sein wird – als Hologramm oder gleich ganz in einem Metaverse.