… und gehören ins Museum und nicht ins Unternehmen!

Manchmal könnte ich schreien. Wenn mal wieder jemand seinen Karriereschritt beschreibt mit Aussagen wie „Ich habe jetzt 45 Leute unter mir!“

Ich denke dann an einen Zoobesuch in San Diego vor einigen Jahren im Familienurlaub. Wir standen gebannt am Gehege der Gorillas und beobachteten den klar erkennbaren Chef im Ring. Die Körpersprache war deutlich. Einer saß oben auf dem Fels. Kam ihm jemand aus der Horde zu nahe, brauchte es nur ein Zähnefletschen, einen Blick – und schon war wieder Ruhe. Der hatte seine Horde tatsächlich „unter sich“.

Aber Leute, das ist doch lange vorbei. Sollte man meinen.

Die Affenfelsen und evolutionären Verwandten haben wir in Unternehmen durch Eckbüros, Vorstandsetagen, dicke Limousinen oder besonders beeindruckende Titel auf Türschildern und Visitenkarten ersetzt. Auch Trommeln auf die Brust ist nicht mehr so chic im Business. Zähnefletschen auch nicht.

Doch es gibt so manche Redewendung, da tönt der Gorilla durch den statusbewussten Ingenieur oder die ehrgeizige Vertrieblerin doch hörbar durch…

Ok. Das ist jetzt vielleicht ein bisschen platt. Doch das Prinzip zeigt sich an vielen Stellen. Zwar meist subtiler aber in der Wirkung wahrscheinlich noch viel gefährlicher.

Es sind die Muster von gestern in Denken und Verhalten, die uns auf dem Weg in die Zukunft behindern.
Die gehören ins Museum und nicht in die Unternehmen und den Alltag von Führungskräften.

Alte Denkmuster gehören ins Museum

Im Museum für Arbeit in Hamburg war ich schon beim Recherchieren für mein Buch für einen ganzen Tag.

Neben einer Ausstellung über die Zukunft der Arbeit fand ich dort die Geschichte der Arbeit sehr anschaulich dargestellt. Da ich jetzt gerade in der Nähe war, konnte ich endlich meinen Vorsatz wahr machen und der Bibliothek des Museums ein Exemplar meines Buches „Glücksfall Fachkräftemangel“ als Dankeschön überreichen.

Arbeit ist Mühe und Plage

Doch zurück zu den alten Denkhaltungen. Die Definitionen von Arbeit sind schon ganz schön alt. Griechen und Römer waren sich ja in vielen Dingen nicht einig. Bei der Arbeit schon. Das war in beiden Kulturen nichts für die höheren Schichten. Dafür hatte man Sklaven und Bedienstete. Auch im Mittelhochdeutschen stand der Begriff „Arbeit“ für Mühe und Plage.

Zwar sprechen wir längst über die Sinngesellschaft und das Erschaffen eines Werkes (in manchen Begriffen wie „work“ oder „ouevre“ zeigte sich dieses Verständnis schon früh). Doch immer noch schwingt bei vielen Redewendungen die alte Bedeutung mit.

Wer arbeiten muss, wird bedauert. Wir haben den sinnfreien Gegensatz von „Work“ und „Life“ kreiert und allzu sehr akzeptieren wir unbefriedigende Zustände, weil es halt so sei… .

Der Mensch ist keine (Arbeits-)Maschine

Homeoffice ist gar nicht so neu. Vor der Einführung der Dampfmaschine haben Menschen zuhause an Webstühlen Stoffe produziert. Rohstoffe wurden gebracht, die Ware vom Auftraggeber wieder abgeholt. Die Arbeit in Fabriken zu konzentrieren kam erst mit der Industrialisierung in Mode. Die Maschinen gaben den Takt vor, die Menschen hatten sich anzupassen. Nicht nur, dass Menschen auf mechanisches Tun reduziert wurden. Zur Optimierung setzte man auf einen Ingenieur, der mehrere Patente zur Bearbeitung von Stahl erworben hatte: Fredrick Winslow Taylor. Er hat eine Menge bewirkt und sein Erbe ist als Taylorismus in die Wirtschaftsgeschichte eingegangen.

Was in Zeiten der Dampfmaschine die Arbeit produktiver gemacht hat, wirkt leider noch nach in Zeiten, die nach ganz anderen Mustern rufen. Mag es an der Maschine hilfreich gewesen sein, Abläufe kleinteilig zu gliedern, Stück- und Akkordlöhne einzuführen und der Arbeitsmaschine Mensch einen klaren Takt vorzugeben – in den meisten heutigen Arbeitsprozessen ist das kontraproduktiv.

Was Taylor begonnen hat, haben REFA-Experten mit Stoppuhr und Checkliste in die Betriebe getragen. Da werden Prozesse optimiert und kleinteilig dokumentiert – und jede Lebendigkeit, Innovationskraft und Eigenverantwortung ausgelöscht. Vor allem aber funktionieren Menschen (zum Glück) nicht wie Maschinen.

Wo sie es tun, werden sie eh wegrationalisiert.
Wir brauchen mehr Menschenkompetenz. Beschreiben wir Organisationen, sollten wir keine Organigramme bauen, die an Maschinen erinnern. Wir brauchen eher Analogien zu lebendigen Systemen und Organismen. Eher Rollen als Stellen. Mehr Identifikation und weniger Vorgabe. Mehr Motivation und weniger Druck.

Fachkraft oder Menschen?

Weit verbreitet in der alten Arbeitswelt ist die Haltung, sich auf die reine Arbeitsfunktion des Menschen zu beschränken. Persönliche Themen, private Interessen und die ganze Komplexität einer Persönlichkeit waren an der Garderobe abzugeben. Je nach Unternehmenskultur haben Menschen gelernt, eine perfekte Maske aufrechtzuerhalten. Ja keine Blöße geben. Diese Haltung zieht sich durch die gesamte Begriffswelt.

Wir sprechen von Personalentwicklung. Warum nicht von Persönlichkeitsentwicklung?
Wir sprechen von Rekrutierung. Warum nicht von Menschengewinnung?

Sogar mein Lieblingswort vom Fachkräftemangel ist eine Reduktion auf die Arbeitsfunktion. Jetzt muss man nicht alle Begriffe neu erfinden. Wichtiger ist das richtige Verständnis und das richtige Handeln. Ich habe lange nach guten Begriffen gesucht. Als große Überschrift habe ich mich für die „People Strategy“ entschieden. Alle deutschen Begriffe wie „Personalstrategie“ sind mir viel zu verhaftet in der Reduktion auf die reine Funktion des Menschen.

„People Strategy“ ist da sehr viel offener und kann den ganzen Menschen meinen.

Die Moral von der Geschicht: Trau alten Mustern nicht

Warum hängen wir immer noch im alten Klassenkampf zwischen Arbeit und Kapital? Wo wir doch alle wissen, dass große Erfolge nur gemeinsam zu erzielen sind. Wir brauchen kluge Modelle der Beteiligung an Erfolg und Wertsteigerung der Unternehmen und neue Gemeinsamkeit. Es gibt so viele alte Muster, die – oft unbewusst – im Untergrund wirksam sind und ihr Unheil anrichten. Dieser Blogbeitrag kann Sie dafür vielleicht ein bisschen sensibilisieren.

Was lernen wir daraus?

Man muss nicht überall neue Begriffe einführen. Doch es lohnt sich, den Status Quo zu hinterfragen. Welche Haltungen, welche Annahmen, welche Formulierungen liegen bei uns unter der Oberfläche?

Je besser man das erkennt und versteht, desto leichter kann man bewusste Entscheidungen treffen. Welche Werte wollen wir leben? Wie verstehen wir „Arbeit“? Wie sehen wir unsere Menschen im Unternehmen? Wie wollen wir unsere Prozesse steuern? Wie schaffen wir Verbindung? Was sind unsere Ziele in Bezug auf Arbeit? Wie beteiligen wir Menschen am Erfolg?

Die Liste lässt sich fortsetzen. Nach einer guten Analyse können wirkungsvolle Entscheidungen getroffen werden. Wie wollen wir als Arbeitgeber sein? Wofür stehen wir? Wie wollen wir führen?

Etablieren Sie Zukunfts-Denkmuster

Wenn Sie beim Lesen gedacht haben „Verdammt, diese Muster sitzen tief und wirken ganz schön heftig…“, dann kann ich Sie trösten. Ja, das stimmt. Aber auch umgekehrt wird ein Schuh draus. Haben Sie sich bewusst für neue und kraftvolle Muster, Überzeugungen und Begriffe entschieden, dann können die genau so viel Kraft und nachhaltige Wirkung entfalten.

Neue Muster können genau so kraftvoll sein wie die alten. Der Schlüssel zum Erfolg: in Prozessen des Employer Branding, der Reflektion der eigenen Arbeitgeberstrategie nicht an der Oberfläche bleiben. Schauen Sie genau hin, hören Sie gut zu. Dann lassen Sie uns die alten Muster entkräften und durch neue ersetzen.

Als großartige Arbeitgeber erwecken Sie die dann zum Leben.

Und die Affenfelsen lassen wir da, wo sie hingehören: in den natürlichen Lebensräume der Gorillas und im Zoo.

Podcast – Alte Haltungen behindern die Zukunft der Arbeit

In der dieser Podcastfolge zeige ich 5 Haltungen und Denkweisen auf, die wir entkräften sollten. Mindestens dürfen wir achtsam hinhören und Muster in Frage stellen. Das ist die Voraussetzung für eine neue Kultur des Arbeitens und den Weg in die Zukunft des Arbeitens.

2022-09-09T12:41:09+02:00
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