Wo „new work“ schon lange Alltag ist

Ok – das Bild ist voll das Klischee. Aber Sie wissen direkt, wohin die heutige Reise geht. Was uns dort hinführt und welche Inspirationen der skandinavische Weg der Führung für großartige Arbeitgeber enthält – dazu gleich.

Ich kann aber nicht einfach los schreiben und so tun, als ob nichts wäre – angesichts so grausamer und vor wenigen Wochen in Europa noch gänzlich unvorstellbarer Kriegsrealität. Es ist eine abstruse Situation.

Man verfolgt die Ereignisse fassungslos und erträgt die kollektive Ohnmacht während man mit den Menschen mitleidet. Wir erleben, wie selbstverständlich geglaubte Standards des weltpolitischen Zusammenlebens wie eine Seifenblase zerplatzen. Grausam und unmenschlich. Und eben viel näher als „sonst“.

Wir können spenden, Flüchtende aufnehmen. Denen Rückhalt geben, die politisch für starke Signale sorgen. Mitwirken, wo wir gefordert sind und etwas beitragen können.

Auch wenn es schwer ist, den Blick und die eigene Aufmerksamkeit von der medialen Dauerinformation zu lösen und sich auf die eigenen Wirkungsmöglichkeiten zu fokussieren, das bleibt auch jetzt – und gerade jetzt wichtig.

Wir brauchen möglichst viele Menschen, die für sich Zuversicht bewahren, Rückendeckung geben und unbeirrt – in Zukunft noch stärker – für gute Führung und Zusammenarbeit wirken.
Im Kleinen wie im Großen.

Auch – und gerade – in solchen Zeiten ist es wichtig, weiter der eigenen Spur zu folgen und wirksam zu sein. Für sich selbst, für das eigene Unternehmen und damit als starker Part in übergeordneten Herausforderungen.

Tabellenführer im Glücksindex

Also – dann auf nach Skandinavien. Zumindest im Gespräch mit Birgit Stülten in der neuen Podcastfolge. Birgit hat lange Jahre mit und für skandinavische Unternehmen gearbeitet und lebt quasi auf halber Strecke – in Kiel 😉.

Wir unterhalten uns im Podcast über die besonderen Qualitäten des skandinavischen Weges der Führung. Über Prinzipien und Elemente der Unternehmenskulturen, von denen wir uns die berühmte „Scheibe“ abschneiden können.

Vieles, was in Skandinavien etablierte Kultur ist, wird hierzulande mit „new work-Floskeln“ gerade eingeführt. Nicht immer mit Erfolg – insbesondere dann nicht, wenn man nur die Methode implementiert, die nötige Kultur aber noch fehlt.

Schnelle Entscheidungen können verzögern

Birgit erzählt von Ihren Erlebnissen mit Projektteams aus verschiedenen Weltregionen. Waren die Amerikaner und die Südeuropäer schnell fertig mit ihrer Strategie- und Produktplanung, dauerte der Prozess beim Nordic-Cluster wesentlich länger.

Das Überraschende kommt später: die anfangs investierte Zeit rentierte  sich. In der Umsetzung war Skandinavien oft schneller und besser.

Die Kultur von Führung und Kommunikation, die sich hier zeigt, hat gleich mehrere wichtige Aspekte:

Jantelagen. Ein tief verankertes Prinzip des „Jeder ist wichtig“. Alle werden gehört, verschiedene Aspekte des Themas kommen auf den Tisch. Bedenken werden ernst genommen, jeder darf Ideen einbringen – und tut es auch. Hierarchien sind gar nicht so deutlich und Kommunikation kann direkt und unkompliziert erfolgen.

Lagom. Ein weiteres Prinzip – die Angemessenheit. „Mäßig“ und „gerade richtig“ statt Protz, Übertreibung, Statuskämpfe und Gehabe. Das spart viel Energie, unnötige Konflikte und lenkt den Fokus auf die sinnvolle Arbeit für Kunden und Unternehmen.

Konsens. In der skandinavischen Führungs- und Kommunikationskultur ist Konsens ein wichtiges Prinzip. Intensiver Austausch, das Ernstnehmen von Bedenken und das Beteiligen und Mitnehmen aller – das lohnt sich. Standup-Meetings gibt es schon seit Jahrzehnten und in Meetings wird engagiert beigetragen.

Auch wenn Führungskommunikation in Skandinavien eher „weichgespült“ daher kommen mag – die Ergebnisse stimmen – wie viele erfolgreiche Unternehmen und eine rege Startup-Szene belegen.

Früh angefangen und tief verwurzelt

Fragt man sich, wie eine solche Kultur entstehen kann, kommt man unweigerlich zum Schulsystem. Das ist ja bekanntermaßen in Skandinavien sehr erfolgreich auf eine stärkenorientierte Entwicklung ausgelegt und baut von Kindesbeinen nötige Grundlagen für die beschriebene Kultur auf.

Das gilt für ein beileibe nicht neues Prinzip: Stärkenorientierung. Darüber reden wir auch hierzulande intensiv, doch viele Systeme, Haltungen und Gewohnheiten (in Schule wie Unternehmen) sind noch eher defizitorientiert.

Ein Geheimnis der Augenhöhe ist mir bei einem zufälligen Gespräch mit einem Sitznachbarn bei einer meiner Arbeitsweltentdeckungsreisen gelüftet worden. Er arbeitet für ein finnisches Unternehmen und beklagte die viel kompliziertere Kommunikation mit den Führungskräften des deutschen Tochterunternehmens, das man gerade übernommen hatte.

„Ist das in Finnland anders?“ frage ich ihn. „Ja, deutlich.“
„Woran liegt das?“
„An der Sauna.“

Ich dachte, er scherzt. War aber ernst gemeint.

„Wenn Sie mit Ihrem Chef in der Sauna waren,
können Sie auf das ganze Gehabe verzichten.“

Das hat eine bestechende Logik und illustriert das Prinzip der Augenhöhe.

Jetzt verstehe ich auch, warum nordische Unternehmen sogar im Firmengebäude Saunen einbauen. Das war mir schon in Estland als Besonderheit aufgefallen.
(Warnhinweis: Der Einbau von Saunen in deutsche Firmengebäude und -kulturen bewirkt NICHT automatisch Augenhöhe in der Kommunikation.)

„Kein Meeting nach 15 Uhr“…

… ist noch so ein ungeschriebenes Gesetz. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in Skandinavien in mancher Hinsicht weit entwickelt. Das hat zwei Aspekte: es gibt eine große Selbstverständlichkeit, am Nachmittag Zeit für und mit den Kindern zu verbringen und die Präsenzzeit im Büro eben zeitig zu beenden.

Das kenne ich aus einer Reise nach Dänemark. Vor vielen Jahren waren wir als Gruppe engagierter Berater auf der Suche nach Innovationen in der Beratung. Mit Kooperationspartnern in Dänemark hatten wir Anliegen ausgetauscht und die Partner haben uns ein tolles Programm zusammengestellt.

Was wir zwischen 16 und 20 Uhr machen würden, stand nicht drin. Wir dachten, da kommt bestimmt noch eine Exkursion oder eine Überraschung.

Überraschung ja – aber anders: es kam nichts. Eher wurden wir entgeistert angeschaut. Das war eine eindrückliche interkulturelle Begegnung. 😉

In den nordischen Ländern gehört der späte Nachmittag Kindern und Familie. Wer da noch arbeitet, gilt als schlecht organisiert.

Der zweite Aspekt. Arbeit und Privates sind eher verwoben als getrennt. Kümmert man sich am Nachmittag um die Kinder, kann eine Arbeitssession am Abend genauso normal sein wie die Erreichbarkeit am Sandkasten.

Kommt uns heute schon vertraut vor – ist im Norden aber lange praktizierte Kultur.
Mein Fazit: es sind die eher leisen Sensationen, die man beim Studium skandinavischer Unternehmen und Führungskultur entdecken kann. Ihre Wirkungen sind jedoch höchst menschlich, entwicklungsfördernd und erfolgreich.

Ein tieferer Blick lohnt sich.

Mal sehen, wie das mit den Reisen in diesem Jahr wird. Finnland und Schweden stehen schon länger auf meiner Liste interessanter Arbeitswelt-Entdeckungsreisen. Das Interview hat die Reiselust nochmal sehr bestärkt.

Doch zuerst freue ich mich auf eine andere Tour, die jetzt tatsächlich nach mehrfacher Verschiebung unmittelbar bevor steht: nächste Woche erkunde ich die Weltausstellung „Expo 2020“ in Dubai. Bei meinem letzten Besuch Anfang 2020 wurde am Gelände schon fleißig gebaut und die Werbetrommel gerührt.

Ich freue mich auf Sonne satt, interessante Zukunftseinsichten und Kontakte.

Podcast – Dubai. Die internationale Stadt auf der Überholspur

In meinem Gespräch mit Birgit Stülten beleuchten wir die Arbeitswelt in Skandinavien. Wir zeigen, was die Unterschiede ausmacht und welche Inspirationen die skandinavische Art von Führung und Management für uns bereithält. Hören Sie rein und kommen Sie mit auf eine Reise in die „gelebte Zukunft der Arbeit“.

2022-03-11T10:10:50+01:00
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