Die Schulen und der Fachkräftemangel

Mit Hochschule und Wirtschaft gemeinsam in die Zukunft

Ich war letztens als Redner bei den „Seeoner Gesprächen“ im Kloster Seeon. Der Seeoner Kreis ist ein Zusammenschluss von Unternehmen der Region, der die Aktivitäten der TH Rosenheim und ihrer Standorte unterstützt.Das war eine gelungene Veranstaltung mit vielen guten Impulsen und intensiver Diskussion.Ein Thema taucht dabei immer wieder auf und beschäftigt mich schon lange:

Die Schulen und der Fachkräftemangel.

Jetzt bin ich ja kein Schulexperte. Aber schon beim Schreiben des Buches hat mich das Thema enorm beschäftigt. Das entsprechende Kapitel hat es dann dennoch nicht ins Buch geschafft.Die Gespräche der letzten Tage habe ich jetzt zum Anlass genommen, einige Gedanken zum Schulsystem in der neuen Podcastfolge zu formulieren.

Lehrermangel als Antreiber für bessere Schulen?

Überträgt man meine These vom heilsamen Leidensdruck auf die Schulen, dann sollten die 40.000 fehlenden Lehrkräfte ja eine Menge verbessern können.Vielleicht brauchen wir ja nicht einfach mehr Lehrkräfte für die bisherigen Rollen, sondern sogar weniger, aber bessere Lehrkräfte für ein neues, moderneres und wirksameres Schulsystem?Harald Lesch hat mal in einem Interview bei Markus Lanz so schön formuliert:

„Kinder gehen mit Begeisterung in die Schule hinein –aber selten wieder mit ihr aus der Schule heraus.“

Im Interview mit Prof. Gerald Hüther beleuchten wir diesen Aspekt von Lernlust und Entdeckungsfreude intensiv. Gemessen an der Begeisterung für immer weiteres Lernen bei den Absolventen aller möglichen Schulformen gibt es eine Menge Luft nach oben….

Tafelbild statt Youtube?

Warum halten wir eigentlich in der Schule an einem hunderte Jahre alten System fest? Wir unterrichten in Fächern mit festem Stundenplan und Curriculum. In Klassen. Hunderte und Tausende Lehrkräfte entwickeln ihren Matheunterricht und erfinden alle das immer gleiche wieder neu. Dafür fehlen uns Lehrkräfte. Klar.Gleichzeitig gibt es Lehrende, die per Youtube-Kanal Hunderttausende von Schülerinnen und Schülern begeistern, weil man dort Mathe kurz und knackig erklärt bekommt und auf unterhaltsame Weise lernt.Innovative Hochschulen machen das längst ähnlich.Fernsehen entwickelt immer neue Formate, die die Welt erklären und modernste Technik und Methodik der Inszenierung und Veranschaulichung nutzen.Wäre es nicht viel klüger, jeweils den 20 besten Erklärern über professionell produzierte Streams die Wissensvermittlung zu überlassen? Wir bräuchten dann anders angelegte Lernlogiken und gute Lernbegleiter und Tutorinnen, die jedem einzelnen Schüler den richtigen Support geben.

Digital, hybrid, virtuell?

Ohne den unfreiwilligen Innovations-Booster Corona würden wir vermutlich immer noch diskutieren, ob Online-Unterricht möglich und sinnvoll sein könnte.Wie kann es eigentlich sein, dass sich in Deutschland Lehrkräfte, die vom Staat bezahlt werden, selbst aussuchen können, ob sie professionellen Online- und Hybrid-Unterricht machen wollen und die nötigen (und längst bekannten) Methoden und Strategien lernen wollen?Dass wir akzeptieren, dass Lehrkräfte in Pandemiezeiten Schüler zur Betreuung bei den Eltern „abgestellt“ haben und nicht in der Lage und willens waren, einen lebendigen Kontakt und entsprechende Kommunikation im Klassenverbund wie individuell mit den einzelnen Schülerinnen zu organisieren, ist ein Armutszeugnis. Ich weiß, es gibt tolle Ausnahmen und vorbildliche Schulen. Die sind ausdrücklich ausgenommen. Wir brauchen mehr davon.Das Schlimme aus meiner Sicht: verschwindet der Druck der Pandemie, scheint alles wieder zu werden wie früher. Das kann nicht sein.Reisen oder Lesen bildet auch hier. Uruguay hat bereits vor Jahren mit einem konsequenten Konzept die digitale Bildung eingeführt. Jeder Schüler hat sein Endgerät, Unterrichtsmethoden sind didaktisch ganz anders aufgebaut und Lehrkräfte ausgebildet worden. Somit war Uruguay das einzige südamerikanische Land, in dem Schülerinnen keine pandemiebedingten Lernrückstände hatten. Warum auch?Dass Schulen in Estland weitgehend digital sind (Wahlen, öffentliche Verwaltung und Grundsteuerbescheide übrigens auch) ist bekannt. Davon habe ich mich schon vor Ort überzeugen können. Dass aber auch ukrainische Schulen (unter Kriegsbedingungen!) in der Lage waren, ihre nach Deutschland geflüchteten Schüler aus der heimatlichen Schule direkt im Klassenverbund weiter zu betreuen – das fand ich bemerkenswert.

Lernen für die Zukunft – mit Tafel und Kreide?

Jetzt will ich ja nicht die Technologie verherrlichen. Aber sie verstehen, sie klug und kompetent nutzen  – das sollten junge Menschen früh lernen. Wo, wenn nicht in der Schule?Dabei geht es ja nicht um Videokonferenz, Youtube-Videos und virtuelle Klassenzimmer. Es geht viel grundlegender darum, dass Schule vorbereiten sollte auf die Anforderungen der Zukunft. Doch wo sind virtuelle Realität, Augmented Reality und Gaming-Ansätze im Unterricht von heute und in den Köpfen der Lehrkräfte?Wir hören immer wieder die Klagen, dass wir zu wenig Interesse an den so dringend benötigten MINT-Berufen hätten. Insbesondere bei Mädchen und Frauen.Dabei ist das Wissen bei Schülern in Deutschland ziemlich gut in diesen Fächern. Nur die Lust, sie weiterzuverfolgen – an der fehlt es deutlich. Wo sind die weiblichen Protagonistinnen für diese Fächer? In arabischen Ländern (die ja gerade nicht berühmt sind für ihre Geschlechtergerechtigkeit) sind überproportional viele Frauen in technischen Studiengängen. In Asien auch. In Israel ist jeder zweite Softwareingenieur weiblich. Da machen wir was falsch…So könnte ich viele weitere Beispiele aufzählen. Besonders krass finde ich ja immer noch das Schreiben. Da wird Handschrift verherrlicht (soll man lernen, ja) und Zehn-Finger-Schreiben in der Schule gar nicht gelehrt. In der Folge sitzen dann hoch qualifizierte Ingenieure und Betriebswirte in Tagungen und Besprechungen vor Zetteln und schreiben mit (in einer Schrift, die man nicht mehr lesen kann auf Zettel, die man nicht mehr finden wird). Oder sie versuchen mit 2 – Finger-Such-System Notizen in Tablet oder PC zu quälen.Bevor wir unsere Devices nicht direkt an unsere Hirnströme anschließen können, wäre die Methode, mit allen 10 Fingern zu schreiben, leider noch State-of-the-art. Ich könnte in die Tischkante beißen….

Als Firma könnten unsere Schulen nicht funktionieren….

Ein sehr grundlegender Blick auf die Schule als Organisation hat bei mir bisher zu enormer Skepsis geführt. Ich bin mir nicht so sicher, ob der Leidensdruck des Fachkräftemangels dafür ausreicht, das Schulsystem zu verändern. Ich befürchte, da müssen noch ein paar Verbündete auftauchen…

Frage 1: Ziehen wir die richtigen Menschen in die Rolle?

Wenn Schule und die Ausbildung unserer Kinder DIE zentrale gesellschaftliche Aufgabe ist, müssten wir die motiviertesten und besten Personen in die Schulen lenken.Doch ist es nicht oft so, dass die vermeintlich hohe Sicherheit (lebenslange Verbeamtung) und das Auswahlverfahren (eher inhaltlich als die spätere psychologisch und emotional anspruchsvolle Aufgabe vor und mit der Klasse) eher sicherheitsorientierte und tendenziell eher unsichere Persönlichkeitsprofile anzieht?

Frage 2: Wie führen wir Schulen?

Schulleiter-Rollen sind meist kaum besser dotiert als andere Lehrerstellen. Die Entscheidung, wer als Lehrkraft an die Schule kommt, trifft selten die Schulleitung. Meist gibt es übergeordnete Behörden. Doch wie soll ein Leitungsteam ein hochwertiges Schulkonzept mit entsprechender Qualität konzipieren und umsetzen, wenn da nicht das klare Mandat zur Personalauswahl, Mitarbeiterführung und -entwicklung sowie der Durchsetzung von Prozessen und Standards besteht?Das sind nur zwei zentrale Fragen. Hätten wir hier funktionalere Strukturen und viel mehr Freiraum, könnten vermutlich viele Wege gefunden werden, das jeweilige Schulteam zu verstärken. Das müssten dann gar nicht nur klassische Lehrkräfte sein. Quereinsteiger, Theaterpädagogen, Sportler, Praktikerinnen aus allen möglichen Berufen und viele Einheiten außerschulischer Lernformate – das könnte so viel interessanter und leistungsfähiger werden. Ohne Lehrermangel wäre daran gar nicht zu denken 😉🙃.Sie sehen – ein riesiges Thema. Und ein wichtiges.Doch was können wir als Unternehmen und Unternehmer*innen tun?In den Shownotes der Podcastfolge habe ich einige Websites und Initiativen verlinkt. Vielleicht haben Sie Muße, mal ein bisschen zu stöbern. Je mehr über positive Beispiele berichtet wird, desto besser.Je mehr sich Unternehmen als Partner von Schulen einbringen, desto besser kann Berufsorientierung werden.Im Sinne der Sichtbarkeit als Arbeitgeber müssen unsere Firmen ohnehin früher, sympathischer und professioneller sichtbar werden.

Podcast – Lehrermangel. Führt dies zur Verbesserung der Schulen?

Schulbildung ist entscheidend für die spätere Entwicklung und Freude am Beruf. In manchen Ländern funktioniert Online-Unterricht bereits gut, in Deutschland hinkt man jedoch hinterher. Durch Haltungen und Methoden von gestern besteht die Gefahr, dass wir die Zukunft verpassen. Hören Sie hier mehr zu diesem Thema!

2023-02-23T10:44:08+01:00
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