Halt! Hiergeblieben!

Zwischen Videoterminen, Strategieklausuren und Vorträgen bleibt wenig Zeit zum Lesen.

Doch über eine Schlagzeile bin ich gestolpert:

„Fast 70 % der Babyboomer wünschen sich frühzeitigen Berufsausstieg“

titelt der Spiegel. Die Tagesschau fragt

„Wie, Du arbeitest noch?“

Es sind diese zugespitzten Aussagen, die wachrütteln. Ein näherer Blick lohnt sich allerdings und die Realität ist nicht ganz so schwarzweiß wie es scheint.

Auf den ersten Blick sollte der berühmte Aufschrei durch Gesellschaft, Politik und Unternehmen gehen.

Nicht nur, dass das Renteneintrittsalter immer noch nicht gesteigert wurde – jetzt ist es amtlich, dass die Boomer ganz überwiegend auch noch früher die Biege machen wollen – Rentenabschläge hin oder her. Hauptsache raus. „Irgendwann muss es ja mal genug sein“ ist eines der in der Studie benannten Motive.

„Wenn wir schon die abgefahrenen Lifestyle-Wünsche der Jungen nicht erfüllen können oder wollen – was sollen wir denn machen, wenn jetzt auch noch die bisher so zuverlässigen Boomer Flausen im Kopf haben?“ so oder ähnlich könnte man verzweifelte Unternehmer klagen hören.

Und tatsächlich stellen die Generationen der zwischen 1958 und 1970 Geborenen vermutlich das größte Potenzial im Arbeitsmarkt dar. Würde es gelingen, dass das Gros dieser Kohorten ein paar Jahre länger an Bord zu halten – das wäre mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein des Fachkräftemangels.

Liebe auf den zweiten Blick

Anlass und Quelle der Headlines ist eine Studie aus Wuppertal, die seit einigen Jahren in Abständen untersucht, wie Menschen den Übergang aus dem Arbeitsleben in den Ruhestand gestalten wollen.

Dabei lohnt sich ein näherer Blick in die lidA-Studie der Bergischen Universität Wuppertal. Die Broschüre mit den vorläufigen Ergebnissen gibt es hier.

Da stecken nämlich die aus meiner Sicht besonders wertvollen Erkenntnisse:

Natürlich stimmt die Botschaft, dass ca. 70 % der Befragten spätestens mit 64 aussteigen wollen und dass das angesichts des Fachkräftemangels und des demografischen Wandels eine arbeitsmarkt-bezogene Katastrophe ist.

Zu den Ergebnissen gehört aber auch, dass sich diese Vorstellung mit zunehmendem Alter verschiebt.

„Je näher das Rentenalter rückt,
desto mehr Menschen können sich ein (etwas) längeres Arbeiten vorstellen.“

Na – das gibt doch Hoffnung.

Noch wertvoller und leider kaum in der Presse angekommen:

„78 % von denen, die nur bis maximal 64 Jahre arbeiten wollen,
würden unter Umständen weiterarbeiten, wenn…. “

Die Aufzählung, die dann folgt, enthält eine Menge Lösungsansätze. Hier ein paar Aussagen:

„Wenn ich frei bestimmen könnte, wie viel und wann ich arbeite“

„Wenn die Arbeit interessant wäre“

„Wenn ich bei der Arbeit gebraucht würde“

Nimmt man diese Erkenntnisse mal zusammen mit den Motiven, die für ein frühzeitiges Ausscheiden angeführt werden („Mehr freie Zeit haben“, „Irgendwann muss Schluss sein“, „Arbeit zu anstrengend“), entsteht doch ein klares Bild.

 

Lust oder Frust?

Alles, was hier genannt wird, sollte eigentlich in gut geführten Unternehmen normal sein. Dass das längst nicht überall so ist, ist das eigentliche Problem.

Viel zu viele Menschen halten schon viel zu lange Arbeitsbedingungen aus, die sie leiden lassen. Dann steht Durchhalten auf der Agenda – so lange es eben sein muss. Aber eben keinen Tag länger.

Wer sich schon seit Jahren quält, nicht gehört wird, sich nicht gebraucht fühlt – wie will man ihm oder ihr verdenken, sich so früh wie möglich aus der Mühle zu verabschieden und sich der heimischen Terrasse oder dem Strand Griechenlands zu widmen?

Genau so klar liegen die Lösungen auf der Hand. Dazu habe ich in einem Beitrag schon mal eine Menge Lösungsansätze beschrieben. Die können Sie hier nachlesen.

Der Grundgedanke: Sorgen Sie dafür, dass Sie mit Ihren Boomer-Mitarbeitern möglichst früh für Arbeitsformate, Zeitmodelle und eine Aufgabengestaltung sorgen, die dazu führt, dass Mitarbeitende sagen „ich will gerne noch weiter arbeiten so lange ich gebraucht werde und mir das Freude macht“.

Diese Arbeit beginnt lange vor dem Renteneintritt. Frust abbauen, neue Perspektiven zeigen, Flexibilität gewähren und Vertrauen geben.

Das ist der Weg, der womöglich zu hoch loyalen, engagierten und lange gesunden, erfahrenen Mitarbeitenden führt. Ob die dann in Teilzeit, auf Abruf, nur im Winter oder nur im Sommer, in Projekten oder volle Kanne arbeiten – das ist völlig egal. Aber jede Person zählt.

 

Neue Blickwinkel öffnen Strategien mit großen Chancen  

Wir sprechen oft davon , dass sich Arbeitgeber bei Mitarbeitenden bewerben müssen. Dabei denken die meisten an die jungen Talente. Von denen gibt es viel zu wenige und dennoch schlagen sich alle drum. Die große Gruppe der Erfahrenen dagegen kämpft ab 50 mit Vorbehalten bei Arbeitgebern und fühlt sich allzu oft zurückgesetzt.  

„Während um die GenZ ein Riesen Hype gemacht wird, kümmert sich keiner um uns.“

ist eine nicht selten zu hörende Klage. Dabei könnte es so leicht sein. Bei den Boomern müssen Sie keine neuen Begriffe lernen und das Beste: sie sind schon da.

Umwerben Sie Ihre erfahrenen Mitarbeitenden und schaffen Sie gemeinsame Perspektiven für ein längeres Arbeiten. Mit Freiräumen, Freiwilligkeit und Flexibilität.

Aber so sollte gute Arbeit doch eh sein – für alle 😉.