Wer nicht liebevoll mit sich selbst umgeht, kann auch nicht bei der Entfaltung helfen.

„Menschen kommen neugierig auf die Welt –  und dann in die Schule“
mit diesem Satz von Gerald Hüther habe ich ein Kapitel meines Buches überschrieben.
Dass ich mich auf ihn beziehen werde, war mir sehr schnell klar, als ich ihn zum ersten Mal live erlebte.

Das war 2019 bei der „New Work Experience“ – einer Tagung in der Hamburger Elbphilharmonie. Ich war vom ersten Satz an fasziniert. Gerald Hüther spricht ruhig und weise. Bringt ganz grundlegende Zusammenhänge der menschlichen Entwicklung auf den Punkt. Und das mit einer beeindruckend klugen und gleichzeitig liebevollen Art.
Deswegen ist es mir eine besondere Freude, dass ich ihn diese Woche als Gast in meinem Podcast begrüßen konnte. Nehmen Sie sich am Wochenende die Zeit und hören Sie rein – es lohnt sich!

Wir unterhalten uns über die Grundzusammenhänge der Entfaltung menschlichen Potenzials.
Wir sprechen über Führung und was wir im Unternehmen tun können, um wirkliche „Ent-wicklung“ bei Menschen zu ermöglichen, zu unterstützen und zu ermutigen.
Wir sprechen über den Weg ins Erwachsenenleben – und die teils schon dramatischen Fehlentwicklungen in und vor der Schule – und was man für eine Verbesserung tun kann.

Alles drängt zur Entfaltung – in Resonanz mit anderen

Gerald Hüther ist renommierter Neurobiologe, war Berater im Bundeskanzleramt, hat viele beachtenswerte Bücher geschrieben. Im Gespräch nennt er sich selbst „Hirn-Körper-Gesellschafts-Forscher“ – und betont damit seinen vernetzten Blick auf das Ganze, auf den einzelnen Menschen in der Wechselwirkung mit anderen und dem ganzen übergeordneten System.

Genau aus diesem Blick resultieren seine wertvollen Einsichten.

„Potenzialentfaltung muss man nicht „machen“.
Man muss nur die Blockaden entfernen, die das sonst verhindern.
Entfaltung ist der natürliche Prozess.“ 
Gerald Hüther

In den ersten Monaten und Jahren unseres Lebens lernen wir so unendlich viel in unglaublicher Geschwindigkeit. Mit Entdeckungslust. Wir probieren aus, spielen, wollen machen. Gestaltungsdrang.

„Entdeckungslust und Gestaltungsdrang“

Was sind das für zwei tolle Begriffe. Sie drücken so viel dieser ursprünglichen Energie aus, die uns allen innewohnt. Oder „innewohnte“ muss man leider manchmal sagen.

Subjekt oder Objekt

So wunderbar das menschliche Leben in Sachen Lernen beginnt (zumindest wenn man in einigermaßen glückliche Umstände hineingeboren wurde) – so schwierig wird es danach.
Eine wichtige Unterscheidung Gerald Hüthers: das Elend beginnt, wenn wir nicht mehr als Subjekt wahrgenommen werden. Spätestens in der Schule, meistens lange vorher, werden wir zum Objekt gemacht. Man will uns beeinflussen, zu bestimmten Handlungen „erziehen“, wir werden genutzt zum Zwecke anderer.

Wir bekommen einen Stundenplan, müssen bestimmte Ergebnisse produzieren, lernen zu funktionieren.
Mit dem natürlichen Trieb der Entdeckungslust, mit dem ursprünglichen Gestaltungsdrang laufen wir jetzt gegen die Wand. Machen schlechte Erfahrungen. Wir lernen, die ursprüngliche Lernfreude einzuschränken.
Jetzt nimmt das Elend seinen Lauf. Wir passen uns an. Wir funktionieren.
Lern- und Lebensfreude?
Sind leider vielen Menschen ganz oder in großen Teilen verloren gegangen.
Das kann es doch nicht gewesen sein.

Wie gelingt das besser?
Gerald Hüther macht die beiden wichtigsten Grundbedürfnisse deutlich, die Menschen zur Entwicklung benötigen: Verbundenheit und Autonomie.
Verbundenheit als Gefühl von Akzeptanz, Sicherheit, Geliebt-Werdens.
Autonomie als Freiheit, sich auszuprobieren, sich zu definieren und das eigene Leben zu leben.
Was man am System Schule verändern kann – dazu gleich noch mehr.
Doch zuvor haben genau diese Qualitäten sehr viel mit guter Führung in richtig guten Unternehmen zu tun.

Führung als Entwicklungshilfe

„Das größte Anliegen von Führung sollte es sein, sich überflüssig zu machen.“ – noch so ein Satz von Gerald Hüther, der im guten Sinne radikal ist.
Überflüssig sein im Sinne von „Antreiben“ oder „Kontrollieren“. Damit Raum schaffen für den eigentlichen Kern von Führung: die großen Zusammenhänge sehen, die Richtung halten und einen Raum für die Entwicklung der Menschen schaffen.
Es gibt viele Aspekte, die wir zur Führung besprechen. Es beginnt bei der Führungskraft selbst.

Der Anfang: Als Führungskraft liebevoller mit sich selbst umgehen. Verbindet man sich wieder mit sich selbst, spürt die eigenen Bedürfnisse, dann wird man wieder zum Gestalter seines Lebens.
Man ist kein Bedürftiger mehr, sondern eine in sich ruhende Person, ein „Liebender“.

Sprach Gerald Hüther vor 2 Jahren noch vom „Supportive Leader“, ist inzwischen der Begriff „Liebe“ auch im Führungskontext kein Tabu mehr für ihn. Richtig verstanden geht es genau darum, jemand zu sein, der etwas von seiner Kraft an seine Mitarbeitenden abgeben kann. Der auch keine Angst davor hat, wenn Mitarbeiter besser werden als die Führungskraft.
Im Gegenteil freut er oder sie sich über die Entwicklung jedes Einzelnen.
Diese Haltung, Menschen zunächst nicht zu verurteilen, sondern ihnen mit Verständnis zu begegnen und sie dann zu ermutigen, zu begleiten auf dem Weg der eigenen Entwicklung – das ist wahre Führung.
Mit einer der vornehmsten Aufgaben: Darin zu unterstützen, die eigene Entdeckungslust wieder freizulegen.

Schulen gemeinsam entwickeln – mit vielen Beteiligten

Ich hätte im „Glücksfall Fachkräftemangel“ gerne ein ganzes Kapitel über Schulen geschrieben. Im Sinne der Fokussierung musste das deutlich schrumpfen. Schreibt man über den Arbeitsmarkt und den Weg unserer Talente dort hin, kommt man an der Schule nicht vorbei.

Gerald Hüther fordert, dass kein Kind die Freude am Lernen in der Schule verlieren dürfe.
Die Realität ist davon leider weit entfernt – ein großer Wandel erforderlich.
Genau um diesen Wandel zu forcieren, hat Gerald Hüther eine ganze Reihe von Initiativen auf den Weg gebracht, mit denen er sinnvolle Entwicklungen fördert.
Im Projekt „Schule im Aufbruch“ werden Schulen in ihrer Transformation ermutigt und unterstützt. Hier finden Sie mehr Informationen zum Projekt „Schule im Aufbruch“ .

Lernlust JETZT! organisiert Ortsbündnisse von Eltern, Pädagogen und Bürgern, die sich für mehr Entdeckerfreude in den Schulen vor Ort einsetzen. Das wirkt dann auf die Schulen, aber natürlich auch auf die Eltern und ihre Vorstellungen von Schule und Lernen. Hier finden Sie mehr Informationen zu „Lernlust.jetzt“ .

In beiden Projekten können und sollten Unternehmer und Unternehmen eine wichtige Rolle spielen. Als Unterstützer und Sponsoren, aber vor allem als aktiver Partner von Schulen und allen Beteiligten im System. Konkret. Vor Ort.
Ich möchte diese Initiativen gerne weiter unterstützen.
Für Unternehmer, für attraktive Arbeitgeber sollte dieses Spielfeld ebenfalls ein dankbares Feld für Engagement sein. Aus Überzeugung und gerne auch als doppelte Chance.

Kurzfristig, um als engagiertes Unternehmen im eigenen Umfeld sichtbar zu sein.
Langfristig, um einen Beitrag zu leisten, lern- und lebensfreudige Menschen im Unternehmen begrüßen zu können.
Davon kann es nicht genug geben.

Schauen Sie mal rein – vielleicht inspirieren Sie die Projekte zu einem Engagement und vielleicht können wir damit einen Beitrag zu den dringend nötigen Verbesserungen auf den ersten Etappen im Leben leisten. Im Unternehmen können wir es allemal.

Podcast – Entdeckungslust und Gestaltungsdrang; Interview mit Gerald Hüther

Wie es besser geht, was Unternehmen und Führungskräfte tun können, um Menschen ihre angeborene Entdeckungsfreude wieder erschließen zu helfen – darüber spreche ich mit dem Neurobiologen Prof. Dr. Gerald Hüther in der aktuellen Folge.

2021-12-09T08:56:24+01:00
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