Wieso sind Vollzeitjobs in Festanstellung normal?

So sehr das Thema eine gesellschafts- und wirtschaftspolitische Diskussion verdient hat – mir geht es hier vor allem um einen praktischen Nutzen für Sie in der Leitung Ihres Unternehmens. Aus staatlicher Sicht ist der Druck groß, möglichst viele Menschen in die Sozialversicherungspflicht zu holen. Zu dramatisch sehen die Prognosen für die Sozialsysteme aus. Es fehlt an Beitragszahlern.

Aus Sicht der einzelnen Menschen wie der Unternehmen ist das Gegenteil der Fall: je mehr Vielfalt möglich ist, desto leichter kann jeder sein Modell des Arbeitens finden. Je geringer die Hürden für die gewünschte Form der Beschäftigung sind, desto leichter können Menschen tätig werden oder bleiben. Das bringt mehr Menschen in Arbeit.

Das Problem: als Folge der ständigen Kommunikation über den „Normalfall“ Festanstellung hat sich dieses Bild in vielen Köpfen festgesetzt. Das „Normale“ wird selten hinterfragt. Damit schränken wir uns unnötig ein. Dabei brauchen wir die Vielfalt der Arbeitsformen dringender denn je.

Vielfalt in Köpfen und Firmen

In vielen Firmen werden Freiberufler oder Freelancer eher als Mitarbeiter zweiter Klasse angesehen. Auf sie greift man nur zurück, wenn die „eigenen“ Leute keine Kapazität haben. Man spricht von den „internen“ und den „externen“ Leuten. Kontakt hält man nur, wenn es konkrete Projekte gibt. Man wirft den Selbständigen vor, dass sie nicht voll bei der Sache seien oder auf mehreren Hochzeiten tanzen würden und dann nicht verfügbar seien, wenn man sie brauche.

Das könnte man fortsetzen. Was ich damit sagen will: nur weil wir nicht gelernt haben, die Arbeit mit Freiberuflern gut zu managen, sollten wir nicht diese Art des Arbeitens verdammen. Es gibt so viele Vorteile, Chancen und Potenziale.

Ein paar Aspekte:

Wer sich selbständig macht und seine Leistung freiberuflich erbringt, übernimmt Verantwortung, zeigt Initiative und geht ins Risiko. Sind das nicht genau die Fähigkeiten, die ich bei wichtigen Projekten in meinem Team benötige?

Ob Menschen bei Bedarf verfügbar sind, sich engagiert einbringen und im Sinne des Ganzen mitdenken, hat weniger mit der rechtlichen Form der Beschäftigung zu tun. Das hängt eher davon ab, inwieweit sich auch freiberuflich Mitarbeitende mit dem Unternehmen identifizieren.
Das wiederum hat viel damit zu tun, wie gut sie kommunizieren und wie Sie es schaffen, Zugehörigkeit und Verbindung aufzubauen und zu halten.

Freiberufler arbeiten für mehrere Firmen und in unterschiedlichen Projekten. Das wird oft negativ kommentiert, hat aber viele Vorteile: Menschen kommen rum, sehen Lösungen in anderen Branchen und sammeln wertvolle Erfahrungen und Netzwerke. Das kommt Ihnen zu Gute.

Freiberufliche Zusammenarbeit kann viel flexibler für alle Beteiligten sein. Menschen können eine Tätigkeit nebenberuflich beginnen oder nach dem offiziellen Renteneintritt wieder intensivieren und länger in Arbeit bleiben.

Unternehmen gewinnen Flexibilität und können bei Bedarf sehr schnell ihre Kapazitäten steigern, ohne große finanzielle Risiken eingehen zu müssen.

Chancen für die Zukunft der Arbeit

Die Potenziale sind je nach Branche unterschiedlich. Doch großartige Arbeitgeber tun gut daran, Ihr Repertoire der Arbeitsangebote nicht nur auf den inneren Kreis des festangestellten Kernteams zu beschränken.

Wer einen Kreis der freiberuflichen und Projekt-Mitarbeiter, der Experten und Kooperationspartner als weitere „Mitarbeitergruppe“ definiert und geeignete Formen der Kommunikation und Verbundenheit schafft, steigert seine Kapazität und Wettbewerbsfähigkeit enorm. Der Anfang wird auch hier in den Köpfen und im Sprachgebrauch im Unternehmen gemacht. Achten Sie mal drauf, wie bei Ihnen über „Externe“, „Freelancer“ oder „Freie“ gesprochen und gedacht wird. Während ein Teil der Unternehmen dieses Potenzial praktisch komplett links liegen lässt, bauen andere längst erfolgreich auf unterschiedliche Modelle des Arbeitens.

Kürzlich sprach ich mit Recruiting-Verantwortlichen aus einem Unternehmen mit mehr als 12.000 Mitarbeitern. Das Recruiting wird von 2 Vollzeitkräften gesteuert und von ca. 10 freiberuflichen Recruitern geleistet. Je nach gesuchter Branche und Profilen kommen andere Experten zum Einsatz. In der Softwareentwicklung oder in der Eventbranche ist das Zusammenstellen freier Teams völlig normal. In vielen Dienstleistungsunternehmen – von Beratung bis Planung – werden große Teile der Leistung von Freiberuflern erbracht. Oft mit hoher Loyalität und Verbundenheit.

Es lohnt sich also, sich mit anderen Arbeitsformen zu beschäftigen und vielfältige Wege zur Zusammenarbeit anbieten zu können.

Neue Regeln braucht das Land

Natürlich sind flexiblere Formen der Zusammenarbeit kein Allheilmittel gegen den Fachkräftemangel. Sie passen auch nicht überall gleich gut. Doch sie haben viel mehr Potenzial als den meisten bewusst ist.

Was man aber nicht verschweigen darf:

Wir machen es in Deutschland den freieren Formen des Arbeitens unheimlich schwer. Die einzelnen Menschen wie die Firmen, die sich für mehr Freiheit und Flexibilität einsetzen, sehen sich immensen Hürden und Gefahren ausgesetzt.

Arbeitsrecht, Steuerrecht, Sozialversicherung –
alle diese Systeme sind getrimmt auf den Normalfall der „abhängigen Beschäftigung“.

Schon der Begriff ist dramatisch. Zusätzlich scheinen Regeln gemacht, um Menschen vor Machtmissbrauch durch den Arbeitgeber zu schützen. Was gut gemeint war, bringt dann ganze Arbeitsmodelle in Verruf.

Schauen wir nur auf den Begriff der Scheinselbständigkeit. Als Gesetz mal gemacht, um den Fahrern von Tiefkühl-Lieferanten ihre Rente zu sichern, weil die Konzerne ihre Fahrer zu Selbständigen gemacht hatten. Das war ein klarer Gestaltungsmissbrauch, den man unterbinden musste. Aber dass jetzt Grafiker, Programmierer und Texter, die bewusst und gerne selbständig sind, ständig auf der Hut sein müssen, kann nicht sinnvoll sein. Genauso wenig wie es sinnvoll sein kann, dass Firmen aus Angst vor teils horrenden Nachzahlungen, erst gar keine Freiberufler beschäftigen oder sie zumindest nicht so ins Unternehmen integrieren, wie das wünschenswert wäre.

Das ist nur ein Beispiel. Wir könnten auch noch über die Künstlersozialkasse oder die nebenberufliche Firmengründung sprechen. Aber das lassen wir jetzt lieber 😉. Wie sagt man so schön: „Wenn es einfach wäre, würde es ja jeder machen“. Wenn es schwierig ist und Sie wissen dennoch, wie es geht, haben Sie einen klaren Wettbewerbsvorteil.