Deutschland ist eine Turniermannschaft

Deutschland ist (k)eine Turniermannschaft

oder

„Atmen…“

Das war hart.Schon wieder raus in der Vorrunde.Und wir hatten uns so gefreut. Waren so zuversichtlich (ich zumindest 😀).Ich wollte das Thema zuerst  ganz verschweigen. Geht aber nicht.Wir müssen über Fußball reden.Ok, nicht über das, was heute morgen alles in den Zeitungen und Kommentaren steht.Aber über Christoph Kramer.Mein Lieblings-Fußball-Experte. Vor ein paar Tagen wurde über den Teamgeist im deutschen Team gesprochen und mit Wehmut an den „Geist vom Campo Bahia“ erinnert (für die Nicht-Fussball-Fans: das war das Mannschaftshotel in Brasilien bei der WM 2014, bei der sich die deutsche Mannschaft zu einem 7:1 gegen Brasilien in einen Rausch gespielt hatte und später Weltmeister wurde).Christoph´s Satz sinngemäß:

„Macht mal langsam. Hätten wir damals nicht das Auftaktspiel gegen Portugal mit 4:0 gewonnen, wäre das mit dem Geist von Bahia auch nicht so weit her gewesen…“

Stimmen die Ergebnisse, wird der Geist schnell überhöht.Umgekehrt auch.An den Satz dachte ich heute zum ersten Mal, als der Kommentator begonnen hatte, die Fußballer in Grund und Boden zu reden – während sie gerade das 3:2 und das 4:2 geschossen haben und wieder alle Chancen hatten.Nach dem Spiel setzte sich das fort. Was haben sie alle kritisiert, begründet und gemäkelt. Über das Spiel. Über die Einstellung. Über die Spanier (ob die das extra gemacht haben, um nicht auf Brasilien zu treffen?).Gegen Japan das Spiel aus der Hand gegeben. Leichtsinnige Fehler gemacht. Die Gegner wieder ins Spiel geholt. Stimmt ja alles.Aber ich frage mich, wie das wohl gewesen wäre, wenn die 3 Pfostenkracher und 2 weitere „100%ige“ Chancen in der ersten Hälfte heute reingegangen wären wie damals gegen Brasilien.

Wir wären direkt wieder „ernsthafter Titelkandidat“ gewesen, „Deutschland, die Turniermannschaft“. „Geniale Spielzüge, immens viele Chancen, tolle Einstellung, dominanter Auftritt.“ 

Campo Bahia – wir kommen. Mit uns ist wieder zu rechnen.

Warum ein bisschen Abstand klug ist

Auch mit ein bisschen Abstand bleibt das Ergebnis für Fans bescheiden. Für die EM 2024 im eigenen Land ist es aber womöglich ein wichtiger Schritt. Wir werden sehen.Phasenweise waren es tolle Spiele. Und Fußballer sind inzwischen entschieden redegewandter als früher (Müller und Kramer vs Matthäus und Basler 😂🤣).Fußball ist ja nun wirklich nur eine Nebensache. Übertreibungen in die eine wie in die andere Richtung sehen wir aber auch anderswo – und das verstellt oft den Blick aufs Wesentliche.Da gab es doch tatsächlich gerade eine positive Nachricht in den Medien „Die Inflationsrate geht zurück und ist auf 10,0 % gefallen“.Ernsthaft jetzt? Hätte einer von uns diese „Schlagzeile“ in einer Strategieklausur vor 3 Jahren als Zukunfts-Szenario präsentiert, das Kopfschütteln wäre ihm oder ihr sicher gewesen.Ähnlich geht es mir bei Nachrichten über Börsenkurse. Da werden kleine Ausschläge euphorisch oder dramatisch aufgebauscht. Emotionen kochen hoch, die Angst oder die Gier greifen um sich. Der Blick auf die langfristige Entwicklung kommt zu kurz.

Mit etwas Abstand löst sich die kurzfristige Erregung in Luft auf und man sieht klarer.Das ist die richtige innere Haltung für Entscheidungen und Weichenstellungen.

Im Unternehmens- und Arbeitgeberalltag kennen wir das auch. Da sagt jemand doch noch ab, den man gerne im Team begrüßt hätte.Da funktioniert eine vielversprechende Recruiting-Methode doch nicht so, wie man sich das erhofft hatte.Da werden Firmenergebnisse nicht so wie erwartet und plötzlich liegt ein Schleier schlechter Laune und interner Kritik über alles.

In der Ruhe liegt die Kraft…

Im Fußball gehört die Übertreibung ja vielleicht auch dazu – ist es doch einfach eine mehr oder weniger gute Unterhaltung und Projektionsfläche.Im richtigen Leben fahren wir wesentlich besser mit etwas mehr Gelassenheit und innerem Abstand. Der klare Blick auf die großen, langfristigen Entwicklungen ermöglicht kluge Entscheidungen und substantiellen Erfolg.Führungskräfte mit diesem inneren Abstand bleiben gelassen und klar, geben Halt und halten Kurs. Das ist im Übrigen ein nicht zu unterschätzender Faktor der Unternehmenskultur wie der Arbeitgeberattraktivität.Dieser grundlegende Blick gilt auch für den Wandel im Arbeitsmarkt.Die zugrundeliegenden Entwicklungen verlaufen langfristig. Richtige und wichtige Weichenstellungen entfalten ihre Wirkung nicht immer sofort. Aus unterschiedlichen Versuchen entwickeln sich erfolgreiche Strategien. Aus vielen Erlebnissen und Erfolgen baut sich ein Ruf, eine Bekanntheit als Marke auf.Rückschläge gehören dazu. Wer die Größe und Gelassenheit hat, bei Übertreibungen in beide Richtungen einfach etwas Abstand einzunehmen, bleibt gelassen, klar und kraftvoll.Die kritischen Phasen gilt es auszuwerten. Gut hinzuschauen, zu verstehen, zu lernen und dann besser zu werden.Die guten Phasen sollten wir genauso auswerten, um sie häufiger zu erleben.

Die Ideallinie liegt dabei nicht genau in der Mitte.

Solange Sie sicherstellen, sich nicht von der Euphorie hinwegfegen zu lassen, darf man auf der positiven Seite ruhig etwas näher rangehen und sich eine Extra – Portion gute Stimmung holen.Das kann man sogar machen, wenn man selbst gar nicht so viel dafür kann. Z.B. Erfolge im Fußball mitfeiern. Sich mit Kollegen oder anderen Firmen freuen. Ober bei positiver Kursentwicklung öfter auf die Kurse schauen als sonst.Eine gesunde Portion „Geist von Campo Bahia“ tut jeder Firma, jedem Team und jedem Geist gut. Solange wir innerlich den nötigen Abstand behalten und uns nicht blenden lassen, beflügelt das alle Beteiligten.

Mit Blick ins Neue Jahr…

Auch mit Blick auf den Fachkräftemangel kann man ähnliches beobachten. Im Grunde verläuft die Entwicklung langsam und ziemlich genau so, wie es zu erwarten war.In den Medien zwar meist mit ziemlich viel Aufregung um einzelne Themen. Vor ein paar Wochen gingen  Arbeitszeitmodelle wie die 4-Tage-Woche quer durch alle Blätter und Sender.Jetzt diskutieren wir überfällige Modernisierungen des Einwanderungsrechts, um mehr Zuwanderung und bessere Integration zu erreichen.Eigentlich geht das alles in die lange schon erkennbare und nötige Richtung.Der Leidensdruck nimmt kontinuierlich zu. Dabei hat die Boomer-Verrentungs-Welle noch gar nicht angefangen und kommt erst noch.Gerade habe ich in zwei großen Foren im Auftrag der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland für ein Ende des  Jammerns über den Fachkräftemangel geworben. Neben vielen intensiven und interessanten Diskussionen eine positive Entwicklung: die Nachfrage nach Maßnahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) steigt gerade deutlich an.Sag ich doch. Leidensdruck durch den Fachkräftemangel führt zu verstärkten Anstrengungen für die Gesunderhaltung der Mitarbeitenden.Im Rahmen der Angebote der AOK können Firmen übrigens die Seminare „Resilienz“ und „Glück und positive Psychologie“ für Ihre Führungskräfte buchen, die von meinen Kolleginnen Britta Rossmann und Andrea Zerotzki durchgeführt werden.Für Sie und jede einzelne Unternehmung heißt dieser innere Abstand, sich nicht blenden zu lassen. Weder von der Panik, die einen manchmal zu ergreifen droht, noch von der trügerischen Leichtfertigkeit, wenn alles scheinbar noch läuft.Die große Entwicklung ist klar. Die demografische Falle wird gerade erst aufgebaut. Der Wettbewerb um Talente wird noch Blüten treiben, die wir uns heute kaum vorstellen können.