Beendet Corona den Fachkräftemangel?

Sieben Fragen und Ideen für vorausschauende Arbeitgeber


Über den Fachkräftemangel zu klagen, ist gerade etwas aus der Mode gekommen. Kurzarbeit, Konjunktureinbruch und Jobverlust sind die Stichworte in den Medien. Menschen haben wieder Angst um ihre Arbeitsplätze, die Arbeitslosigkeit steigt. Ist der Fachkräftemangel Geschichte?

Wir können noch nicht absehen, wie tief die Einschnitte in Konjunktur und Arbeitsmarkt sein werden. Gestern Abend berichtete das Heute-Journal über Ausbildung in Mecklenburg-Vorpommern. So sehr viele sich Sorgen machten, ob alle Jugendlichen in Corona-Zeiten Ausbildungsplätze finden würden – das Gegenteil ist der Fall: Längst nicht alle Ausbildungsplätze können besetzt werden.

Zwar war die Kontaktaufnahme herausfordernder als sonst, weil Jobmessen und Schulbesuche genauso ausfielen wie die normale Berufsberatung. Dadurch hat alles ein paar Wochen länger gedauert als sonst. Was man aber sehen kann: den Betrieben ist völlig klar, dass sie an der Ausbildung nicht sparen dürfen. Das ist ein sehr gutes Zeichen. Nach der Krise wird die Arbeitsmarktsituation in vielen Berufen wieder ähnlich sein wie vor Corona. Mindestens. Denn die Entwicklung zum Fachkräftemangel haben wir ja größtenteils noch vor uns. Die demografische Verrentungswelle der Babyboomer kommt erst noch – und längst nicht alle Jobs werden wegdigitalisiert.

Der Kampf um die Talente gerät durch Corona in manchen Branchen vielleicht ins Stocken, verschwinden wird er nicht. Wer jetzt glaubt, sich als Arbeitgeber nicht mehr so anstrengen zu müssen, dürfte einem Trugschluss erliegen. Besser ist es, den Blick nach vorne zu richten und sich gerade in dieser schwierigen Zeit kluge Fragen zu stellen. Sieben davon möchte ich Ihnen als Impuls mitgeben:

1. Sind wir als Arbeitgeber auch online sichtbar?

Wer – das gilt für die Suche nach Auszubildenden genau wie für alle anderen Mitarbeitenden – bisher nur auf klassischen Wegen präsent war, sollte die aktuelle Situation unbedingt nutzen und ein paar Dinge ausprobieren. Online sichtbarer werden, Kontakte über soziale Medien aufbauen, mit Videos zeigen, was man als Arbeitgeber zu bieten hat. Nichts muss perfekt sein, aber diese Zeit ist eine gute Gelegenheit für einen Anfang.

2. Wie können wir möglichst viele Talente an Bord halten?

Politik und Wirtschaft in Deutschland machen das gerade nahezu vorbildlich. Kurzarbeit und großzügige Hilfsprogramme sichern Arbeitsplätze, die in anderen Ländern schlicht verloren gingen. So können Mannschaften am Start bleiben, die beim Anziehen der Konjunktur so schnell und so eingespielt nicht wieder zu bekommen wären. Ähnliches gilt auch für den einzelnen Betrieb. Versuchen Sie mit kreativen Lösungen für möglichst viele Mitarbeiter und guter Kommunikation alle guten Leute an Bord zu halten und bleiben Sie mit potenziellen Interessenten in Kontakt. Den Lohn fahren Sie später ein.

3. Könnten wir nicht gerade jetzt einstellen?

Wenn Sie keine Einbußen haben, kann diese Zeit eine seltene Gelegenheit sein, gute Mitarbeiter zu gewinnen, die sonst gar nicht auf dem Markt wären – oder wenn, dann nur zu sehr viel höheren Konditionen. Wer Bedarf hat, für den lohnt sich gerade jetzt das Arbeitgebermarketing. Wer jetzt sogar über Bedarf einstellt oder Einstellungen anbahnt, gewinnt Wettbewerbsvorteile für bessere Zeiten. Muss man sich leisten können – aber so ist das öfter mit Chancen.

4. Wie können wir gerade jetzt auf uns aufmerksam machen?

Es kann gut sein, dass während der akuten Phase der Krise deutlich weniger Bewegung im Arbeitsmarkt ist als sonst. Doch Menschen schauen sich um und Unternehmen, die jetzt einen guten Eindruck machen und als Arbeitgeber interessant sind, können sich dann in ein paar Monaten oder Jahren über Bewerbungen freuen. Wie können Sie Ihre Stärken als Arbeitgeber gerade jetzt zeigen? Gibt es Aktivitäten, über die Sie berichten können? Gibt es Initiativen Ihres Teams, die Solidarität zeigen, sympathisch auf Sie aufmerksam machen? Setzen Sie Ihre Helden des Alltags in Szene und zeigen Sie, wenn Sie in der Krise ein toller Arbeitgeber sind.

5. Wie können wir unser Bewerbungsverfahren modernisieren?

Unter Kontaktbeschränkungen und Hygienevorkehrungen fallen auch Bewerbungsprozesse anders aus. Auch das ist eine Chance. Haben Sie erstmal Videointerviews als Element entdeckt, können Sie damit auch später viel schneller in persönlichen Kontakt kommen als mit dem klassischen Weg über Telefon und persönliches Interview. Videointerviews gehen schnell, beide Seiten sparen Zeit für den ersten Eindruck. Das wichtigste: Sie können in der Regel viel schneller reagieren. Je umkämpfter Talente sind, desto mehr ist im Vorteil, wer zuerst im persönlichen Kontakt ist.

6. Ist unsere Karriere-Website gewinnend?

Schauen Sie mal auf Ihre Website mit dem Blick eines potenziellen Bewerbers, der oder die Ihr Unternehmen noch nicht kennt. In manchen Firmen prangt auf der Karriereseite in Zeiten ohne offene Stellen nur die Botschaft „Zur Zeit keine Stellenangebote“. Gewinnend ist das nicht. Gute Karriereseiten machen Lust auf Firma, Perspektiven und potenzielle Teamkollegen. Erklären Sie, was Sie zu bieten haben und bieten Sie eine unkomplizierte Form der Kontaktaufnahme.

7. Was können wir gerade jetzt in Angriff nehmen?

Nutzen Sie die Zeit. Wenn Aufträge ausbleiben, Projekte storniert werden und manches nicht so läuft wie sonst, kann das auch eine Chance sein. Nehmen Sie Dinge in Angriff, die sonst liegen bleiben würden. Lassen Sie Azubis Mitarbeiterportraits als Videos drehen, erarbeiten Sie Inhalte für die Karriere-Website, beschäftigen Sie sich mit Social Media für Ihr Recruiting oder starten Sie die Arbeit an Ihrer Strategie als Arbeitgeber.

Sie sehen – es gibt so viel Sinnvolles zu tun im Bereich Arbeitgebermarketing und -strategie. Klar ist die Situation in verschiedenen Branchen unterschiedlich. Hört sich für manche das Schlagwort vom Fachkräftemangel eher wie Hohn an, suchen andere gerade in der Krise händeringend nach Mitarbeitern. Legt der Arbeitsmarkt gerade eine Atempause ein, korrigiert das vielleicht manche Übertreibung, regelt manche Erwartungshaltung wieder etwas herunter. Aber die Tage, in denen der Fachkräftemangel als Stichwort in den Medien die Corona-Begriffe wieder verdrängt – sie werden vermutlich bald wiederkommen. Bezüglich der Bewältigung der Krise hoffen wir alle darauf.

Bezüglich des Fachkräftemangels wird deutlich besser dastehen, wer seine Hausaufgaben gemacht hat. Wer das nicht tut, wird von der akuten Corona-Krise direkt in die nächste Krise schliddern – die Fachkräftekrise. Bei Corona wurden wir alle überrascht. Der Fachkräftemangel hingegen ist lange absehbar. Niemand wird sich später darauf berufen können, überrascht worden zu sein.

In diesem Sinne – nutzen Sie diese besonders herausfordernde Zeit. Pausieren Sie nicht im Arbeitgebermarketing, nur weil Sie vielleicht aktuell keine oder wenige Stellen zu besetzen haben. Vielleicht ist gerade jetzt eine gute Zeit für kluge Fragen.