Arbeiten Sie doch wann Sie wollen – mit flexiblen Arbeitszeiten punkten

Vor einiger Zeit erlebte die Deutsche Bahn eine ziemliche Überraschung. Man hatte in den Tarifverhandlungen eine Option eingebaut. Alternativ zur vereinbarten Gehaltssteigerung konnten die Mitarbeiter eine leichte Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit wählen. So weit, so einfach.

Der Clou: niemand hatte damit gerechnet, wie viele Menschen die zweite Option gewählt haben.

In Summe musste die DB eine riesige Zahl neuer Stellen ausschreiben, weil sich die fehlenden Stunden angesichts der Größe des Unternehmens ganz schön addiert haben.
Die Benefits-Studie von Kienbaum und kununu bestätigt diesen Eindruck:

die Flexibilität in Arbeitszeit und -ort wird eindeutig
als der wichtigste Benefit angesehen.

Die Fülle der Möglichkeiten ist nahezu unendlich: alle erdenklichen Teilzeitmodelle, die 4-Tage-Woche mit voller oder reduzierter Wochenarbeitszeit, Turnus-Teilzeit, Arbeitszeitkonten, Sabbaticals, Lebensarbeitszeitkonzepte, Zeitprämien, Funktionszeit, Job-Sharing oder Springer-Teams.

Es gibt fast nichts, was es nicht gibt.
Man ist versucht, potenziellen Mitarbeitenden zuzurufen:

„Arbeiten Sie doch, wann und wieviel Sie wollen.
Alles ist möglich – Sie haben die Wahl.“

Ganz so einfach ist es dann in der Praxis leider doch nicht…

Da treffen Welten aufeinander

… denn da treffen Welten aufeinander. In den Köpfen vieler Chefs und Chefinnen ist die Bereitschaft zu solcher Vielfalt noch sehr viel geringer ausgeprägt.
Ok, Teilzeitjobs im Büro. Klar. Das ist ja normal.
Aber – zumindest insgeheim – ist der Fulltimejob doch immer noch das Maß aller Dinge. Für Führungspositionen allemal, in Handwerk, Produktion und anspruchsvoller Dienstleistung auch.
Das ist ja auch einfacher. Man kann leichter Schichten und Kapazitäten planen, wenn alle die vollen 40 Stunden an Bord sind. Am besten noch mit festen Arbeitszeiten von 9-17 Uhr. So haben wir das gelernt und für die meisten Menschen ist das „normal“. Vielleicht sollte man besser sagen – so kannte man das halt.

Tatsächlich ist das Angebot flexibler und unterschiedlicher Arbeitszeitmodelle
eine Riesenchance für ambitionierte Arbeitgeber.


Zeitliche Flexibilität ist für Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen und mit verschiedenen Lebensstilen immens wertvoll. Der eine braucht Zeit für die Familie, die nächste betreibt ein zeitaufwändiges Hobby, der Dritte arbeitet an einer nebenberuflichen Selbständigkeit.
Die Anforderungen differenzieren sich weiter und Menschen entdecken immer mehr die Vielfalt der Möglichkeiten. Genau die erwarten sie dann auch. Zurecht.

In der neuen Podcastfolge beleuchte ich das ganze Spektrum der Arbeitszeitmodelle. Hier hören Sie Gestaltungsoptionen und Ihre Vorteile und Potenziale – aber auch die Herausforderungen für die Arbeitgeber.

Flexibilität beginnt im Kopf

Wie so oft entscheiden die Haltung und die inneren Bilder der Menschen an der Spitze im Unternehmen.

Verstehen Sie die Zusammenarbeit im Unternehmen als eine Kooperation auf Augenhöhe und sehen sich als „Gastgeber“ Ihrer Mitarbeitenden – dann liegt es nahe, möglichst vielfältige flexible Optionen zur Arbeitszeit anzubieten.

Die Konsequenzen:
Es kann sein, dass Ihre Kapazitätsplanung komplexer wird.
Es kann sein, dass Sie mehr über die Arbeitszeiten kommunizieren müssen.
Es kann sein, dass es Spannungen im Team gibt.

Klar.

Es könnte aber auch sein,
… dass Ihre Leute begeistert sind über die Flexibilität und das gerne weiter erzählen.
… dass Sie durch pfiffige Arbeitszeitmodelle Ihre Servicezeiten zum Kunden ausbauen können.
… dass Sie produktiver werden, Geld sparen oder Auslastungs-Schwankungen besser meistern können.

Und natürlich kann es (ganz bestimmt sogar) passieren, dass Sie einen Riesenvorteil im Kampf um Talente entwickeln, wenn Sie Erfahrungen mit modernen Arbeitszeitmodellen sammeln und Ihren Weg finden.
Auch hier ist es so: wenn es alle machen würden, wäre es kein Vorteil mehr. Aber die Zähigkeit, die Gegenargumente und die Veränderungsresistenz vieler Arbeitgeber ist Ihre Chance.

Das Buffet der Möglichkeiten bietet reichhaltige Auswahl.

Arbeitszeitmodelle – das Buffet der Möglichkeiten

Die tägliche Arbeitszeit – wie frei können wir sein? Vor Corona sind in vielen Büros sehr feste Zeiten Standard gewesen. Vielleicht eine Mini-Flexibilität mit Gleit- und Kernzeit. Erlaubte Arbeitszeiten waren zwischen 8 und 18 Uhr.

Corona zwang dann zur Entzerrung der Arbeitszeiten auch im Büro. Auf einmal durfte man schon früh um fünf anfangen oder bis zum späten Abend arbeiten. Warum auch nicht. Der eine ist am Vormittag höchst produktiv, der andere vor 14 Uhr eher nicht zu gebrauchen.

Im Alltag nehmen wir darauf bisher viel zu wenig Rücksicht. Reflektieren Sie doch mal, wieviel Vorgabe und feste Zeiten Sie wirklich benötigen und wo Sie mehr Freiraum einräumen und ermutigen können.

Warum ermutigen? Weil ich ganz oft feststelle, dass auch in den Köpfen von Mitarbeitern das Gewohnte viel tiefer verankert ist als nötig. Wir hatten das gerade in Gesprächen in den dunklen Wintermonaten. Da sieht man die Sonne gar nicht. Morgens ist sie noch nicht da und zum Feierabend nicht mehr.

Dabei spricht doch nichts dagegen, die Mittagspause auf 2 oder 3 Stunden zu verlängern und die Sonne mittags zu sehen oder Sport zu treiben. Die Arbeitszeit kann man dann am späten Nachmittag dran hängen. Produktivität, Zufriedenheit und Vitamin-D-Spiegel dürften steigen.

Darf´s ein bisschen weniger sein?

Schauen wir auf die Wochenarbeitszeit. Das Spektrum auch hier riesig. Die Entscheidung der DB-Mitarbeiter dabei im Trend. Eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit oder die geänderte Struktur können erstaunliche Wirkungen haben.

Wie wär´s mit einer 4-Tage-Woche?

Das kann – wie in Belgien gerade als Anspruch im Arbeitszeitgesetz verankert – eine reine Umschichtung der Arbeitszeit sein. Weiterhin 40 Stunden, aber auf 4 Tage konzentriert. Die sind dann etwas länger, dafür hat man einen 3. Tag Wochenende. Das kann eine klasse Lösung sein. Handwerker sparen eine Fahrt auf die Baustelle pro Woche. Die Verfügbarkeit für Kunden pro Tag wird länger.

Turnus-Teilzeit. Hinter diesem schönen Begriff verbirgt sich alternierende Teilzeit – in der einen Woche 3 Tage Arbeit Montag bis Mittwoch, in der Folgewoche Donnerstag bis Samstag. Geht z.B. gut in Gastronomie oder Handel. Im Ergebnis hat der Mitarbeiter immer wieder fast eine Woche frei am Stück. Teilzeit kann auf wenige Tage konzentriert oder mit kurzen Arbeitstagen über die ganze Woche verteilt sein. Umfang und Struktur können jede Woche gleich oder im Wechsel gestaltet werden. Die Kunst ist es sicher, das so zu organisieren, dass die Abläufe im Unternehmen rund laufen trotz (oder gerade weil) es sehr unterschiedliche Arbeitszeitmodelle gibt.

Ein Schlüssel zum Glück: möglichst viel Verantwortung für die Abstimmung im Detail ins Team geben.

Ist einem Team klar, welche Zeiten abzudecken, welche Arbeiten zu erledigen sind, finden sich meist gute Lösungen untereinander. Eigene Zeitinteressen und die Verantwortung für das Ganze halten sich in guten Teams die Waage. So gelingt beides – persönliche Flexibilität und ein guter Ablauf im Betrieb.

Eine besonders intensive – auch anspruchsvolle – Methode ist das Job-Sharing. Zwei Menschen teilen sich einen Job. Im konsequentesten Fall (ein Beispiel beschreibe ich im Podcast) regeln die beiden untereinander, wer wann da ist. Für Betrieb, Kunden und Kollegen ist das mindestens gleichwertig mit der normalen Vollzeitstelle.

Zeit als Währung – Weltreise auf Firmen(zeit-)kosten?

Auch mit längerfristiger Perspektive kann Arbeitszeit flexibler gehandhabt werden als üblich.
Warum nicht in 9 Monaten richtig ranklotzen und dann 3 Monate am Stück frei nehmen? Für Weltreise, Hausbau oder Auszeit.

Ich spreche von Arbeitszeitkonten, über die man sich Arbeitszeit ansparen kann. So können Sabbaticals und besondere Wünsche professionell organisiert und umgesetzt werden.

Das kann sich über mehrere Jahre ziehen. So kann die 6-monatige Weltreise mit Gehalt bestritten werden: man bezieht seinen Lohn z.B. für einen 32-Stunden-Job. Arbeitet dann so lange 40 Stunden pro Woche bis das angesparte Zeitguthaben für die Weltreise reicht. Das Gehalt läuft auch weiter, wenn Sie in Sidney am Strand spazieren.

Sind Arbeitszeitkonten mal eingerichtet, können Sie auch eine Prämie in zusätzliche freie Tage umrechnen und damit interessante Anreize ermöglichen.

Achtung Hype – lassen Sie sich nicht blenden!

Es gibt Ansätze, die noch viel weiter gehen. Lasse Rheingans hat ein Buch geschrieben über sein Modell des 5-Stunden-Tags. Bei vollem Lohn versteht sich. In seiner Agentur hat er einen schlüssigen Gedanken konsequent weitergedacht: Kein Mensch kann bei geistiger Arbeit 8 Stunden hoch produktiv sein. Also warum nicht nur 5 Stunden arbeiten? Dafür alles Unnötige weglassen, sehr zielorientiert vorgehen und den Feierabend auf 13 Uhr vorziehen? In diesem Fall scheint das zu funktionieren. Doch es gibt auch andere, die nach einigen Monaten Schiffbruch mit dieser Idee erlitten haben.

Meine Botschaft: Solche Ansätze können tolle Inspirationen sein. Doch lassen Sie sich nicht blenden.

Ein anderes Beispiel:
Firmen, die ihren Mitarbeitern erlauben, so viel Urlaub zu nehmen, wie sie wollen.
Klingt gut, oder – zumindest aus Mitarbeitersicht 😉?

Der Haken: mit diesem Modell machen vor allem amerikanische Firmen auf sich aufmerksam. Was man dazu wissen muss: dort gibt es im Normalfall 15 Urlaubstage und kaum einen Kündigungsschutz. Weiß man das, sieht die Rechnung schon anders aus: weiß jeder, dass er seinen Job jederzeit los sein kann, überlegt man sich gut, ob man 30, 50 oder 80 Tage Urlaub macht. Das Ergebnis ist oft, dass die Leute sogar weniger Urlaub machen. Da kann eine faire, großzügige Regelung mit 30 Urlaubstagen doch die weitaus bessere Lösung sein. Das ist halt nicht spektakulär. Dafür wissen alle, woran sie sind und gewinnen Sicherheit.

Finden Sie Ihren Weg

Wie fangen Sie an?
Das Entscheidende ist die Offenheit für mehr Flexibilität. Denken und kalkulieren Sie mal verschiedene Modelle für sich durch.
Sprechen Sie mit Ihren Mitarbeitenden. Welche Interessen haben Ihre Leute wirklich? Für wen ist welche Veränderung interessant?
Erst wenn Sie das wissen, ist es sinnvoll, konkrete Modelle auszugestalten.
Alles, was dann bei Ihnen funktioniert, können Sie an die „große Glocke“ hängen und Ihre Attraktivität als Arbeitgeber noch besser sichtbar machen.

Podcast – Ist Zeit die neue Gehaltserhöhung?

Arbeitszeitmodelle: Mitarbeiter profitieren durch höhere Lebensqualität und bessere Passung mit persönlichen Vorlieben, familiärer Situation und Lebensplanung. Unternehmen profitieren durch höhere Produktivität, längere Servicezeiten und natürlich durch eine wesentlich höhere Attraktivität als Arbeitgeber.

2022-03-08T10:41:48+01:00
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